Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 2/2009 vom 16. Januar 2009
2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvE 2/08 und 2 BvE 5/08
-------------------------------------------------------------------------------------
Mündliche Verhandlung in Sachen "Lissabon-Vertrag"
-------------------------------------------------------------------------------------
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am
Dienstag, den 10. Februar 2009 und am
Mittwoch, den 11. Februar 2009,
jeweils um 10.00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
über Verfassungsbeschwerden gegen das deutsche Zustimmungsgesetz zum
Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, das Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes sowie das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der
Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der
Europäischen Union und über Anträge im Organstreitverfahren gegen diese
Gesetze. Die Beschwerdeführer und die Antragsteller im
Organstreitverfahren wenden sich gegen die Ratifikation des Vertrags
von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und
des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.
Der Vertrag von Lissabon erweitert - wie seine Vorgänger die
Einheitliche Europäische Akte, die Verträge von Maastricht, Amsterdam
und Nizza - u.a. die Zuständigkeiten der Europäischen Union, dehnt die
Möglichkeiten aus, im Rat mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen,
verstärkt die Beteiligung des Europäischen Parlaments im
Rechtsetzungsverfahren und löst die bisherige Säulenstruktur auf.
Gleichzeitig wird der Europäischen Union eine eigene
Rechtspersönlichkeit verliehen. Außerdem übernimmt das Vertragswerk
Regelungen des gescheiterten Vertrags über eine Verfassung für Europa,
wobei er allerdings ausdrücklich auf das Verfassungskonzept und eine
entsprechende Bezeichnung verzichtet. Daneben sieht er eine Reihe von
Reformen der Institutionen und Verfahren der Europäischen Union vor.
Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon und die entsprechenden
Begleitgesetze durchliefen im Oktober 2008 erfolgreich das deutsche
Gesetzgebungsverfahren. Völkerrechtlich ist der Vertrag bisher noch
nicht wirksam, weil dies neben der Ratifikation durch alle
Mitgliedstaaten der EU im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen
Vorschriften, die Hinterlegung aller 27 Ratifikationsurkunden der
Mitgliedstaaten in Rom/Italien voraussetzt. Der Bundespräsident hat,
nachdem die Antragsteller und Beschwerdeführer den Erlass einer
einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht beantragt hatten,
die deutsche Ratifikationsurkunde bisher nicht ausgefertigt. Zur Zeit
haben 23 der 27 Mitgliedstaaten ihre Ratifikationsurkunden in Rom
hinterlegt. Es fehlen die Urkunden von Irland, Polen, der Tschechischen
Republik und die der Bundesrepublik Deutschland.
Der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1010/08 (Gauweiler), der
gleichzeitig Antragsteller im Organstreitverfahren 2 BvE 2/08 ist,
macht mit seiner Verfassungsbeschwerde geltend, dass das
Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon das Demokratieprinzip, den
Grundsatz der souveränen Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland
und das Prinzip der Gewaltenteilung verletze. Insbesondere rügt er,
dass die Ausweitung der Zuständigkeiten der EU und die Möglichkeit,
verbleibende Kompetenzlücken entweder durch eine expansive
Rechtsprechung des EuGH oder durch die Anwendung der sog.
Flexibilitätsklausel selbst zu schließen, zu einer Kompetenz-Kompetenz
der EU führen. Außerdem fehle dem Europäischen Rat die demokratische
Legitimität, weil mangelnde Transparenz des Entscheidungsverfahrens und
eine zu lange Kette von Vermittlungsschritten der Ableitung der
Legitimität von den Mitgliedsstaaten entgegenstünden. Mit der
Erweiterung der Kompetenzen für innere Sicherheit und Strafverfolgung
dringe die EU verfassungswidrig in Kerngebiete der Staatlichkeit vor.
Auch sei nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren, dass die EU zu einem
Völkerrechtssubjekt werde und über einen außenpolitischen Apparat sowie
über weitreichende außenpolitische Kompetenzen verfüge. Damit werde sie
zu einem eigenen Staat, was mit dem gleichzeitigen Verlust der
souveränen Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sei.
Ebenso sei durch den Vertrag das Gewaltenteilungsprinzip verletzt, weil
die Bundesregierung über die europäische Ebene vor allem im Rat
schwerpunktmäßig Rechtssetzungsfunktion übernehmen könne und damit als
Teil des Rates höherrangiges Recht setze, dass das vom Bundestag
erlassene Recht verdränge. Der Beschwerdeführer meint, dass die
Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtscharta im Vertrag von Lissabon
auch sein aus dem Grundgesetz resultierendes Freiheits-, Gleichheits-
und Justizgrundrecht beeinträchtige, weil insbesondere die
Menschenwürde im Rahmen der EU nicht strikt zu beachten sei, sondern der Abwägung mit anderen Rechtsgütern unterworfen werde. Die
Bestimmungen der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon seien ebenfalls nicht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes vereinbar.
Hier weiterlesen