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  #1  
Alt 19.08.2008, 00:11
dirk66 dirk66 ist offline
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Standard ich möchte gern was veröffentlichen. Darf ich?

Ich habe das langsam geschrieben, deshalb sollte man es langsam lesen.


Er kam herein und hat dieses Flimmern mit sich gebracht und jeder hat gespürt, dass irgendetwas nicht stimmt. Acht erhoben ihre Köpfe und jeder wusste, wer an der Reihe war. Er war dran und die anderen haben weiter gegessen. Ihre Köpfe ganz tief in die Futtertröge gesteckt und dankbar gewesen, dass es ihn getroffen hat. Nur er brachte keinen Bissen mehr runter. Wenn ich mich recht erinnere war es ein Sonntag. Der Tag in der Woche wo keiner schafft. Der Tag in der Woche wo alle ausruhen und sich mit ihren Kinder beschäftigen. Und es war vor Allem der Tag an dem die Glocken läuten.

Und dieses Flimmern wurde stärker und stärker an diesem Sonntag. Die Luft vibrierte förmlich und sie waren alle nur damit beschäftigt weiter zu essen, um bloss nicht aufzufallen, so dass es nicht ihr Sonntag werde. Aber Er stand da und weinte. Es war noch früh am Tag und er sah die Sonne aufgehen. Es hatte nur wenige Wolken und es war ein reines Vergnügen die Sonne in all ihren Facetten aufgehen zu sehen. Aber er wusste von dem Moment an, an dem er aufgewacht ist, dass es das letzte Mal sein wird. Er wusste, dass er nichts mehr lernen würde, dass er keine Kinder mehr zeugen wird, dass er keine Chance mehr hat irgendetwas auf dieser Welt zu ändern. Und glaube mir mein Freund: “Wenn es soweit ist, dann weißt du um was es geht“

Aber es hat ihm niemand in die Augen geschaut. Dieses Flimmern wurde stärker – und es wurde unerträglich, als die Stalltüre aufgerissen wurde und zwei Fremde herein kamen. Stellen wir uns einfach einmal vor, er hätte denken können so wie wir und genau so fühlen und sehen.

Ich weiss ja nicht, ob wir das schon mal erforscht haben. Wie eine Kuh denkt oder fühlt. Oder ob sie sieht wie wir. Aber wahrscheinlich nicht, sonst würden wir sie nicht so behandeln.

Aber jetzt, heute, kurz bevor er stirbt. Was hätte er wohl gedacht? Was??

Ich denke, dass er das selbe gedacht hat, was auch du und ich gedacht hätten: „Nur noch ein wenig da sein, da wo ich alles und jeden kenne, den Ort wo ich weiss wie jeder Vogel tönt, wo es warm ist am Feuer und wo die Streicheleinheiten schon fast eine Selbstverständlichkeit sind. Ja, er wollte nur noch ein wenig hier bleiben. Er hatte gefroren wo es gestern noch warm war. Und er war allein, wo es gestern noch keine Einsamkeit gab. Warum hat ihm niemand in die Augen geschaut?? Scheiss Sonntag! Warum hat ihm niemand in die Augen geschaut??

Warum konnte ich ihm das nicht zugestehen, dass er genau so sieht wie wir? Und denkt und fühlt…..

Plötzlich knickten seine Hinterbeine ein und ein unsagbarer Schmerz drückte ihm erneut die Tränen in die Augen.


Viele Jahre später….



... Darf ich weiter schreiben, oder störe ich? Verletze ich "Urheberrechte"?

Wie auch immer, bin mal gespannt auf eure Reaktionen...

lG, Dirk
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  #2  
Alt 19.08.2008, 00:24
Dirkk1974 Dirkk1974 ist offline
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Schreib ruhig weiter, ich trink sowieso gerade ein Glas Milch .
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  #3  
Alt 19.08.2008, 00:25
dirk66 dirk66 ist offline
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Beiträge: 24
Standard ich mach es einfach...

Heute ist ein besonderer Tag für mich. Ich bekam neue Schuhe. Nicht, dass ich sie wirklich gebraucht hätte (meine Alten waren ja auch noch ganz gut), aber diese Schuhe hat mein Sohn gemacht. Jawohl, er ist Schuster geworden.
Ich sitze hier unter seinem Baum und sehe 32 Jahre über mir in den Himmel aufragen. Vor 32 Jahren habe ich ihn einpflanzen lassen. Und zu der Zeit war er schon alt. 10 Meter hoch und schon ziemlich alt.

Ich liege so, dass ich all seine Brüder im Auge habe. Luki hat eine Birke, Angi hat eine Rotbuche, Michi mein Bruder, hat eine Kastanie, meine Eltern sind verwelkt im Wind. Die Birke ist mein Lieblingsbaum. Der glatte Stamm, die weisse Farbe im Winter und die gelassene Eleganz im Sommer. Manchmal glaube ich, dass ich jeden Vogel in einer Birke kenne, und dass ich weiss um was es geht.

Seit 32 Jahren sitze ich hier und sehe immer noch die weissen Streifen am Himmel. Und traurig denke ich: “Sie können noch immer nicht los lassen“.

Ich bin jetzt dreiundsiebzig Jahre alt. Und seit zweiundzwanzig Jahren ist in der Gemeinde Langnau kein Kind mehr auf die Welt gekommen und es wohnen noch sechshundert und zwölf Menschen hier. Die Häuser in denen keiner mehr wohnt haben wir zurückgegeben und offen gelassen. Wir können zusehen, wie sich die Natur alles zurückholt, Stück für Stück. Vögel nisten im Wohnzimmer und Baumkronen haben sich durch die Dächer gedrückt. Seit zweiundzwanzig Jahren ist kein Kind mehr auf die Welt gekommen und so sind unsere Kinder immer Kinder geblieben für uns. Und wir haben ihnen versprochen, dass wir später ihre Kinder werden. Dann dürfen sie uns füttern, den Hintern wischen und uns zum Kindergeburtstag über die Strasse bringen. Hand in Hand. Wir haben uns dazu entschieden, dass wir aussterben und wir haben auch entschieden: wann.

Meine Güte, war das ein Wahnsinn. Die ersten acht oder neun Jahre, bis sie merkten, dass wir wirklich nur das Dorf wollten und nicht die ganze Welt.
Mein Gott, war das ein Wahnsinn.
Menschen wurden verfolgt, geschlagen, eingesperrt und sogar ermordet. Und alles nur weil eine Strasse gesperrt wurde. Wir konnten unsere Kinder nicht mehr alleine auf die Strasse lassen, weil wir Angst hatten, sie kommen nicht mehr heim.
Vergewaltigt und geplündert haben sie.

!!Dabei wollten wir doch nur das Dorf und nicht die ganze Welt!!!

Eines Tages haben wir uns losgesagt von euch da draussen und haben uns genommen, was uns eh schon gehört. Die Welt. Ja genau, sie gehört uns und nicht euch oder ihm oder ihr - uns gehört sie, und wir haben endlich angefangen auf ihr zu leben. Und wir lebten nach unseren Regeln und nicht nach euren. Wir liessen keinen mehr ins Dorf, der nicht bereit war alles zugeben, weil er von uns alles bekam.
Nach ein paar Jahren gab es keine Autos mehr, keine Fernseher, keine Toaster und Föhne. Die Kartoffeln wachsen eh nicht besser, wenn ich sie an einem Tag einsetze an dem ich mir die Haare gefönt habe. Wir wollten einfach nichts mehr haben, wir wollten endlich mal wieder etwas bekommen. Und tatsächlich, wir haben alles bekommen. Wir bekamen unsere eigenen Strom und unser eigenes Wasser. Und wir haben beschlossen uns nicht mehr zu vermehren bis wir es im Griff haben, und dadurch wurden wir unerpressbar und mutig. Wir bekamen wieder ein Gewissen und einen Stolz.
Ja genau!
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  #4  
Alt 19.08.2008, 00:37
dirk66 dirk66 ist offline
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Standard also. ich erzähl einfach noch ein wenig weiter...

Ich habe einen Vertrag geschlossen. Ja, ich habe einen Vertrag mit ihm gemacht und beide haben wir unterschrieben. Ich in meiner Handschrift und er in seiner. Ich glaube es war ein Sonntag, als ich hinauf stieg und meinen Farn giessen wollte. Ich nahm die Giesskanne und stieg über die Balken im ersten Stock und in dem Moment, als ich die Giesskanne mit zwei Händen nehmen wollte, hat er unterschrieben und mir eine Ohrfeige gegeben und ich fiel mit dem Kopf voraus zwischen den Balken durch auf die Werkbank aus Eiche von meinem Opa, die vier Meter weiter unten stand.
Im ersten Moment wusste ich nicht was los war, bis ich das Blut sah. Es tropfte auf den Teppich und lief mir warm über die Brust. Langsam wurde mir klar, dass ich gerade noch dort oben war, und jetzt lag ich da und blutete.
Ja, dann muss ich wohl runter gefallen sein.
Er hat unterschrieben und mich ganz bewusst nicht sterben lassen. Ich sah etwas verwirrt die zwei Gitarren neben mir stehen und wusste es. Ich drückte die rechte Hand an meinem Hinterkopf und das Blut lief mir zwischen den Fingern durch. Mir war ein wenig schwindelig, und dann ging ich zum Telefon und rief Angi an. Und dann erst den Notarzt. Ich machte alle Türen auf, legte mich in den Hausgang und wartete auf den Notarzt. Ich war ganz klar im Kopf – und dann durfte ich etwas sehen, was nicht viele Menschen sehen dürfen, wenn sie danach noch weiter leben.
Ich durfte in meine Augen schauen, und ich sah, dass es dieselben Augen waren. Ich durfte mir zu sehen, wie ich da lag mit dem Bewusstsein sterben zu müssen. Und ich sah in meinen Augen dasselbe, was ich auch in seinen gesehen habe. Ich fühlte dasselbe und dachte dasselbe.

„Nur noch ein wenig da sein, da wo ich alles und jeden kenne, den Ort wo ich weiss wie jeder Vogel tönt, wo es warm ist am Feuer und wo die Streicheleinheiten schon fast eine Selbstverständlichkeit sind“. Ja, ich wollte nur noch ein wenig hier bleiben. Noch nicht sterben, bei meiner Familie sein.

Nicht weil ich Angst davor gehabt hätte, nein, sondern weil ich wusste, dass ich noch nicht fertig bin und deshalb noch einmal auf die Welt kommen muss. Ich wollte einfach fertig werden und nicht mehr zurück kommen müssen. Aber scheissegal, was ich wollte, ich hatte es in dem Moment nicht mehr in der Hand und musste ihn entscheiden lassen, was aus mir werden sollte.
Er hätte mich sterben lassen können und nichts auf der Welt hätte sich geändert. Alles wäre so weiter gegangen wie immer. Der Regen, die Sonne, Winter, Frühling und der Wind, auf die Welt kommen und sterben. Nichts hätte sich geändert.
Aber wofür hätte er mich dann meine Augen sehen lassen, wofür dieses Bewusstsein?
Drüben bei ihm brauche ich keine Augen und kein Bewusstsein. Nein, er liess mich leben mit der Erinnerung an meine Augen und dem Wissen, dass er allmächtig ist und dass das seine Art ist einen Vertrag zu unterschreiben. Und in dem Vertrag standen ein paar Regeln, an die ich mich augenblicklich gehalten habe.

• In dem Vertrag stand, dass ich mir nie wieder anmassen werde zu glauben, ich sei etwas Besseres als irgendein anderes Lebewesen auf dieser Welt.
• In dem Vertrag stand, dass wir füreinander sorgen und aufeinander aufpassen werden.
• Dass wir nichts mehr nehmen, was wir nicht freiwillig bekommen und dass uns nichts zusteht, was wir uns erzwingen müssen; dass wir uns bedanken für alles, was wir bekommen.

Damit wir wieder in Frieden mit der Welt leben können und nicht gegen sie.

• In dem Vertrag stand, dass alles alt werden darf auf dieser Welt, in der Werte erst dann wieder etwas gelten, wenn wir keine Sprache mehr brauchen, weil wir uns wieder in die Augen schauen können.
• Und dann stand da noch: “Ich weiss, dass ich nur Gast bin auf dieser Welt und dafür Sorge trag, alles so zu hinterlassen, dass ein anderer nach mir alles übernehmen kann, und das ohne krank zu werden.

Ja, ein Vertrag in dem ich die Welt als Gott anerkenne und als die Einzige, die Unterschiede machen darf, weil sie die Unterschiede schafft.
Ein Vertrag, nach dem ich den wahren Glauben glaube und lebe, nur den einen, und nicht die Wahl habe zwischen dem einen und dem anderen, weil es nur den einen gibt – den einen Glauben, dass ich weiss, dass wir alle Gott sind, weil wir von ihm sind, auf ihm sind und er in uns ist.
Den Glauben, dass wir uns nicht lieben müssen, sondern Respekt ausreicht.
Ja, ein Vertrag, in dem es keine Sonntage mehr gibt, und wir haben alle unsere schönste Kleidung an und sind sauber.

Ich weiss nicht mehr ganz genau, wie es damals war, als ich auf die Welt kam. Wahrscheinlich war es ein Sonntag, ich weiss es nicht, aber es könnte einer gewesen sein. Ich kam auf die Welt an einem 12ten April und konnte mit dem Datum lange nichts anfangen, ausser, dass es immer fast Ostern war und ich dann ein Jahr älter.
Ja, irgendwann kam ich auf die Welt und das erste, was ich spürte war, dass hier irgendwas nicht stimmt. Am Anfang war es nur ein Unwohlsein aber später fand ich dann das richtige Wort dafür.
Krieg.
Ja, es war Krieg, wo ich war, und ich kam mitten in diesem Krieg auf die Welt. Ich denke jetzt einfach mal, dass ich trotz allem eine Kindheit hatte wie die meisten in meinem Alter in dieser Zeit, nur mässig misshandelt oder geschlagen, keinen wirklichen Hunger und immer was zum anziehen. Eigentlich war alles normal und das wäre es auch geblieben, wenn ich nicht weiter gewachsen wäre. Aber ich kam an einem 12ten April auf die Welt und deshalb war auch bei mir alles schon festgelegt, ohne dass irgendjemand was hätte ändern können.
Es war Krieg da wo ich war, und ich war nicht allein in diesem Krieg. Ich hatte eine Schwester, die älter war als ich, und am Anfang habe ich geglaubt, sie hätte Schuld an diesem Krieg. Aber dann bin ich weiter gewachsen und erkannte, dass man nicht automatisch durch Geburt schuldig wird.
Eine Schuldige, die schuld daran ist, das man jeden Rappen zweimal umdrehen muss; Arbeiten, Waschen, Kochen, Spazieren gehen, eine grössere Wohnung und Sparen fast bis zum Geiz.

Lügen, Lügen, Lügen.

Nein, dass gibt es nicht, dass man automatisch Schuldig wird.
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  #5  
Alt 19.08.2008, 00:44
dirk66 dirk66 ist offline
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Standard ich bin so frech...

Man kann schuldig oder angeschuldigt sein, aber man ist nie von Anfang an Schuldig. Denn sonst kämen ja nicht Menschen auf die Welt, sondern Nazis, Jugos, Juden, Amis, Pädophile… Und weiss der Teufel wie man sie alle nennt.
Nein, da kommen Menschen auf die Welt, Lebewesen, zufällig geboren in irgend einem Teil der Welt, zu dem irgendwann irgendjemand Türkei oder USA gesagt hat, wahrscheinlich an einem Sonntag.
Stellen wir uns doch mal folgendes Szenario vor:
Er hätte die Welt nach seinen Körperteilen benannt. Und ich kann mir echt vorstellen, dass es das Wort „Arsch“ schon vor dem Wort „Eidgenossenschaft“ gegeben hat.
Dann wäre Frankreich die linke Arschbacke, Österreich wäre die rechte (was auch sonst). Und wir hier in Langnau, Zofingen und Reiden wären genau die Mitte. Da wo noch nicht einmal mehr Haare wachsen. Und genau auf der anderen Seite von ihm, wo sie heute Australien dazu sagen, wäre sein Schwanz. Und alle Australier wären Schwänze. OOuuhh würden wir sagen, schau mal, da fahren 2 Schwänze die Rigi rauf. Und sie würden sich umdrehen und nach hinten rufen: „Hello Arschlöcher“ und würden freundlich lachen „It’s nice to see you“. Und wir würden nach vorne schauen und sagen: „Yoh du Schwanz, I’m so happy to see you again“.

Nein!!! Wir kommen nicht schuldig auf die Welt. Von Anfang an sind wir unschuldig, und meine Schwester war das auch.

Aber es war Krieg und in ihren Augen war sie daran Schuld, nur weil sie auf die Welt gekommen ist. Und weil sie sie gezwungen hat weiter zu wachsen. Aber sie sind aus Trotz nicht weiter gewachsen…
Es war Krieg, und sie musste als Grund für Alles herhalten. Für alles, was nicht funktionierte. Und glaube mir mein Freund: Es funktionierte nichts in diesem Krieg. In keinem Krieg hat jemals irgend etwas irgendwie auch nur annähernd funktioniert.


Wir sind miteinander aufgewachsen und in all den Jahren, die wir miteinander im Krieg waren, hatte sie die Funktion eines Schutzschildes für mich. Sie bekam alles ab. Die leichten Verletzungen, die Schweren und vor allem, die Unheilbaren. – Wer auch sonst. Sie war ja der Grund, sie war schuld, sie war die erste. Bei mir war es schon egal. Sie war schuld, denn sie war die erste. Ich bekam schon auch meine Querschläger ab. Aber die konnte man heilen oder vergessen. Ihre Verletzungen waren unheilbar.

Heute sitzt sie da und versucht ihre Schuld zu verdrängen. Und weil sie so viel mit „Verdrängen“ beschäftigt ist, kann sie nur noch da sitzen und nichts anderes mehr tun. Ich habe mit ihr so viel geredet, so lange zugehört und endlos geweint. Aber sie hat aufgegeben und ist ihren Verletzungen erlegen. Sie war der Grund, dass 2 Menschen zusammen bleiben mussten. 2 Menschen, die nur einen kurzen Augenblick von der Ewigkeit wollten. Und das steht ihnen ja auch zu. Und ich glaube, dass sie sie nicht einmal hätten lieben müssen. „Respekt“ hätte wahrscheinlich ausgereicht. Respekt vor der Unschuld, Respekt vor dem Lebewesen, Respekt vor der Welt und Gott. Lediglich Respekt hätte es gebraucht und der Krieg hätte nicht stattgefunden. Sie hätten einen respektvollen Weg finden müssen um meine Schwester aus ihren Krieg raus zu halten.
Respekt hätte die Konsequenz bedeutet, dass sie sich nach der Geburt meiner Schwester sterilisieren lassen, und damit wäre dieser Familie und dem Rest der Menschheit viel Leid erspart geblieben. Aber sie entschieden sich für Krieg, und je älter wir wurden, desto heftiger wurde auch der Krieg….

Und wir haben uns entschlossen auszusterben und auch wann, und vor allem wussten wir wofür!!!

Mein Opa, meine Oma, meine Tanten und Onkel, Cousinen, wir alle waren im Krieg und jeder schaute nur, dass er irgendwie heil rauskommt. Wir waren immer noch kleine Kinder und vollkommen unschuldig; schuldig wurden wir erst viel später.

Meine Schwester war ein kleines Mädchen, die nichts anderes wollte als nicht frieren und nicht hungern, die in den Arm genommen werden wollte und zu dem man sagt: „das wird schon wieder“, wenn sie sich wehgetan hat. Sie war ein kleines Mädchen was nicht schuld an allem haben wollte, sie wollte sich an jemanden hinkuscheln können und wissen, dass jemand auf sie acht gibt. Sie war ein kleines Mädchen und unschuldig, und an dem Tag an dem sie ihr den Kopf herunter geschlagen haben, war die ganze Welt daran schuld, dass wieder ein Kind Gottes ans Kreuz genagelt wurde.
Ja, ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, an dem sie ihr den Kopf herunter geschlagen haben, und mir läuft es kalt den Rücken herunter wenn ich daran denke. Wenn ich alte Fotos anschaue aus dieser Zeit, dann fallen mir ihre Augen auf und ich sehe, dass es die selben Augen sind, wie die meinen.
Es war ein wunderschöner Wintertag und es schneite und schneite und schneite. Ich glaube wir hatten Ferien und wir durften länger draussen bleiben in unserer Schneeburg. Es dämmerte schon. Wir waren kleine Buben und Mädchen, die für kurze Zeit nicht an den Krieg dachten und so glücklich waren, wie Kinder sein sollten. Wir spielten und lachten miteinander und vergassen für einen Augenblick, dass wir Schuldige waren.
Mein Opa kam aus der Haustür, weil er aufs WC gehen wollte. Das WC war damals noch ausserhalb vom Haus und es wurde erst später üblich, dass man in die Häuser scheisst. Mein Opa kam heraus und wir alle bombardierten ihn natürlich sofort mit Schneebällen. Und er hat sogar noch ein paar zurück geschmissen. Oh Gott, kein Krieg, keine Schuld, keinen Grund gab es dafür, wir wollten einfach nur Kinder sein, lustig, frech, und haben gelacht und geschmissen. Aber es war Krieg und plötzlich explodierte eine Bombe, die meiner Schwester den Kopf abriss. Irgendeiner von uns traf meinen Opa voll ins Gesicht und die Brille war hin, und wer sonst als meine Schwester hätte die Rolle des Schuldigen übernehmen können. Wir alle, jeder von uns hätte es sein können – aber mein Opa packt sich eine Schneeschaufel und läuft schreien auf meine Schwester zu. Und ich weiss heute, nach so langer Zeit, dass er sie erschlagen hätte, wie einen streunenden Strassenköter. Er hätte sie umgebracht. Er rennt auf meine Schwester zu , und ich werde dieses Aufheulen, dieses Schreien, die Angst in ihren Augen, die Hoffnung diesmal nicht schuld zu sein, dieses Davonlaufen mit den Armen über dem Kopf und Sich-Verstecken-Müssen, oh Gott, dass werde ich nie vergessen, wie sie spät in der Nacht heim kam mit verrotztem Gesicht. Stundenlang sass meine Mutter in der Stube am Fenster und wartete auf sie. Wir haben sie so lange gesucht, keiner wusste wo sie war. Ich weiss es bis heute nicht. Sie kam herein geschlichen und es gab keinen Ausweg. Ich weiss noch, dass sie von meiner Mutter nicht ausgeschimpft wurde, aber als ich ihre Augen sah, da wusste ich, dass sie bereits auf dem Anhänger war und sie auf ihren Gedärmen herumtrampelten.
Meine Schwester hatte Todesangst gehabt, und wenn irgendein Lebewesen auf dieser Welt Todesangst gehabt hat, war es danach nicht mehr dasselbe.
Meine Schwester hatte Todesangst und meine Mutter verbrachte von dem Tag an über zwanzig Jahre Nacht für Nacht am Wohnzimmerfenster und wartet auf meine Schwester. Aber sie kam nicht mehr.
Heute ist meine Schwester in einem Heim und schwer seelisch behindert, sagt man, und sie leert Mülleimer aus und räumt Kaffeegeschirr ab, wenn man es ihr sagt. Nein sie muss nicht mehr denken. Sie hat ihre Ruhe verdient. Niemand ist ihr mehr bös und ich hoffe, dass sie ihren Frieden findet.
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  #6  
Alt 19.08.2008, 00:54
dirk66 dirk66 ist offline
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Infokrieger
 
Registriert seit: 07.02.2008
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Standard ich will ja nicht aufdringlich werden...

Ich sitze am Esstisch meiner Eltern. Sie haben uns heute zum Essen eingeladen, es gibt Rindsrouladen und Spätzle und Semmelknödel. Erst später habe ich aufgehört Fleisch zu essen; nachdem ich diesen Vertrag abgeschlossen hatte, durfte, konnte und wollte ich das nicht mehr. Wir essen alle miteinander und sitzen alle gemeinsam am Tisch, was eh so selten war in unserem Leben. Meine Schwester ist auch dabei. Ich habe meinen kleinen Lukas auf dem Schoss sitzen und füttere ihn. Wir haben unseren Spass und sind gut drauf und irgendwann merke ich, dass mein Vater herüber schaut, und für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke. Wir haben uns nicht oft in die Augen geschaut, mein Vater und ich, aber in diesem kurzen Moment sah ich in seinen Augen sein ganzes Leben.
Seine Entbehrungen und sein Hoffen, seine Ängste und Wünsche, seine ganze Traurigkeit sah ich und wusste, dass er weiss, dass er noch mal auf die Welt kommen muss, weil er nicht mehr fertig werden kann. Er war siebzig und hatte keine Zeit mehr.
Er wird noch einmal kommen müssen, weil ihm zuviel fehlt vom Leben, was nicht heisst, dass er nichts gemacht hat. Ich sah, dass er erkannte, dass ihm DAS fehl, einfach da sitzen mit seinem Sohn auf dem Schoss und nichts sagen müssen, weil alles passt. Mit einem kleinen Menschen reden und schmusen, mit ihm ins Bett gehen und seinen Atem hören und das Zucken spüren, wenn er sich entspannt und einschläft.
Ja, das sehe ich in seine Augen, dass er gern Kinder gehabt hätte. Das alles vermisst er, und er hat nicht mehr die Zeit es nachzuholen. Hätte er sich einmal für uns eingesetzt, einmal auf unserer Seite, Zuhören und glauben. Wir waren seine Kinder aber wir waren im Krieg, dass hätte ich jetzt fast vergessen, wir waren im Krieg und die Fronten waren aufgeteilt in Stube, Küche, Bad, Hausgang, Kinderzimmer und Hof, und jeden Tag verliefen die Fronten anders, und es ging nur darum irgendwie durchzukommen.

Ich war ein kleiner junge, und selbst wenn ich damals gewollt hätte, ich hätte meiner Schwester nicht helfen können. Ich war selbst damit beschäftigt raus zu kommen und erkannte früh genug, dass ich das mit Verdrängen nicht schaffen kann. Und so fing ich an einen Traum zu träumen, der mein Leben wurde, und ich habe mir meine eigene Gerechtigkeit erfunden, die ich später mit dem Wort „Respekt“ ausdrückte. Respekt meinen Eltern gegenüber, nicht weil sie meine Eltern waren, sondern weil sie Menschen waren, Lebewesen, die in ihrer Zeit nicht anders sein konnten, so wie ich auch in meiner Zeit nicht anders war. Der Respekt, dass ich wusste, ich habe ihnen nichts zu verdanken, aber das wenige, dass ich ihnen schulde, muss ich zurück geben, wenn die die Zeit kommt. Ich werde mich um sie kümmern, wenn sie alt sind, und sie müssen nicht frieren. Es wird ihnen nichts fehlen im Alter und sie müssen keine Angst haben und nicht hungern. Sie waren eine Zeit lang meine Eltern und wurden später zu meinen Kindern, so wie alle Menschen auf dieser Welt meine Kinder sind und ich ein Kind aller Menschen bin.


Respekt hiess der Weg, auf dem ich anfing zu gehen, und Respekt hiess der Traum, den ich anfing zu leben – und wenn irgendeiner noch im Krieg ist mit irgendjemanden auf dieser Welt, dann soll er damit Schluss machen und sich mit ihm versöhnen, sonst kann er ihm dieses Bewusstsein nicht zugestehen. Respekt haben heisst nicht, den Mund halten zu müssen und nicht NEIN sagen dürfen; heisst nicht still sein zu müssen und sich nicht wehren dürfen; heisst nicht sich alles gefallen lassen zu müssen und jedem Streit aus dem Weg gehen.
Streit ist nicht Krieg. In einem Streit gibt es keine Toten oder Verletzten, die gibt es nur im Krieg. Ja, so fing ich an, meinen Weg zu gehen und bin irgendwann von daheim ausgezogen. Ich dachte, dass dann der Krieg für mich vorbei wäre, aber da täuschte ich mich schwer.
Überall war Krieg auf dieser Welt, nur eine weitere Front kam dazu und ich blieb nicht verschont. Überall war Krieg, und als ich das erkannte, das es nicht mein eigener sondern ein Weltkrieg ist, dachte ich mir, ihr könnt mich doch alle mal am Arsch lecken, und ich fing an auf dieser Welt zu leben und liess meinen Traum Wirklichkeit werden und bin gewachsen.
Ich gewöhnte mir eine Freundlichkeit an, die mir erlaubte, egal was auch gesagt wurde, ich immer Grüetzi und auf Wiedersehen sagen kann. Meine Sprache machte ich zu meiner Waffe und niemals im Leben wurde ich gewalttätig oder habe geschlagen. Meine Augen beschützten mich davor, dass mir jemand zu nahe kommt und meine Stimme bekam einen Ausdruck, der nicht mehr zu überhören war. Ich wurde was ich schon immer war und als was ich auf die Welt gekommen bin.
Ein respektvoller Mensch.
Ich wusste, dass ich ewig leben werde, und ewig bedeutet, dass du fertig geworden bist. Ich will jetzt nicht Jammern und lamentieren wie schwer der Weg war. Er war nicht schwer, denn es war mein Weg und nur ich konnte auf ihm gehen. Ich konnte auf keinen von euren Wegen gehen. Ich lief eine zeitlang neben euch her, bis die Abzweigung kam und ich meinen Weg fand. Hätte ich nicht erkannt, dass es mein Weg ist, wäre ich immer noch bei euch. Aber da ich erkannte, dass ich mich an dieser Kreuzung von euch trennen muss, wurde ich ein respektvoller Mensch und ewig und konnte fertig machen
Nein, euer Weg ist nicht meiner und soviel ihr auch gebettelt habt, dass ich bei euch bleibe, ich konnte es nicht.
Es war nicht mein Weg.
Nein, das war nicht mein Weg, alles haben wollen und neidisch sein, verbittert und böse, falsch und feig, nein, das war nicht mein Weg. Feinde haben und lügen, wie ein Dieb davon schleichen müssen in der Nacht und sich freuen, wenn es einem anderen schlechter geht als mir. Nein, das war nicht mein Weg. Krieg war nicht mein Weg.
Mein Weg war es dastehen zu können und sich nicht verstecken zu müssen, mein Weg war es Stolz zu sein und sich nach einem Streit trotzdem versöhnen können, mein Weg war Lachen und Sonne und nicht Dunkelheit und Angst. Mein Weg war es Tränen haben zu könne, die jeder sehen darf, ohne mich zu schämen, und die von der Sonne getrocknet wurden, die für alle Menschen scheint, und das Wissen, dass sie immer scheint … Nacht für Nacht…
Und so wurde aus UNS, aus WIR und IHR, aus IHM und EUCH

Ich und ich.

Ich gehöre nicht mehr zu euch, nein, ich gehöre nicht mehr zu denen von euch, die immer noch Kriege führen, foltern, morden und schlagen. Nein, ich gehöre nicht mehr zu denen von euch, die nicht fertig machen können, weil es immer noch jemanden gibt der schuld ist. Ich will nicht zu denen gehören, die immer noch Angst haben. Ich werde ohne Angst auf dieser Welt leben, weil ich fertig sein will, wenn es vorbei ist; und weil ich bis dahin in Frieden mit allen Lebewesen gelebt habe, die sich die Welt mit mir teilen mussten und ich mit ihnen. Ich werde in Frieden leben bis mein Tag kommt und bis dahin werde ich nicht vergessen, dass wir alle einen anderen Fingerabdruck haben und es nie zwei gleiche gibt…
In Frieden werde ich leben und bis zum Schluss von meiner Einzigartigkeit überzeugt sein und davon überzeugt, dass es für uns nur eine Zukunft gibt durch Frieden.

Der Elektroschocker surrte und er schreit auf. Ketten klirren im Stall, überall Unruhe. Und der Bauer schreit, Houuu houuu, ist schon gut, ist schon gut, und Er schreit und rutscht auf seiner eigenen Scheisse aus und bricht sich einen Hinterlauf.
Aber welcher Schmerz könnte grösser sein als das Bewusstsein, dass du heute die Sonne nicht mehr untergehen siehst – und dieses Bewusstsein gestehe ich ihm einfach zu. Ich muss ihm das zugestehen, denn sonst wäre mein ganzes Denken eine Lüge. Sie treiben ihn aus dem Stall, sein gebrochenes Bein baumelt an Sehnen und Haut, und sie zwingen ihn auf einen Anhänger. Aber er weiss, dass wenn er erst dort oben ist, dann ist es vorbei. Aber was er auch dagegen probiert, wie heftig er sich auch in seiner Verzweiflung wehrt, sie prügeln ihn rein – und plötzlich steht er drin, blutüberströmt und schaut in hunderte von Augen, die heute die Sonne nicht mehr untergehen sehen werden. Und wenn sie nicht sofort losgefahren wären, hätten sich unter dem Anhänger kleine Pfützen gebildet, aus Tränen all dieser Augen, die heute die Sonne nicht mehr untergehen sehen werden.
Ja Freunde, die Augen waren es, die Augen, wir hätten in die Augen schauen sollen, und wenn wir wirklich nach dem Ebenbild irgendeines Gottes gemacht worden wären, dann hätten wir Mitleid gehabt und wenigstens versucht solche scheiss Sonntage zu verhindern.
Ja, dann hätten wir uns bedankt und ihn nicht nur in uns rein gefressen und wieder ausgeschissen.

Sie fielen hin und her im Anhänger und schlitzten sich gegenseitig die Bäuche auf und rutschten aus auf ihren eigenen Gedärmen. Väter, Mütter, Schwestern, Brüder, Freunde und Fremde, und alle hatten dasselbe Bewusstsein. So standen sie da. Und obwohl er zu mir nichts in meiner Sprache sagen konnte, musste ich in seine Augen schauen – und mein ganzes Leben hat sich in diesem Augenblick verändert. Ich habe gesehen, dass er genau erkennt, was da grad passiert. Und er hat auch erkannt, dass ich nichts unternehme, damit es nicht passiert. Ich habe ihm in die Augen geschaut und mit ihm geweint und mich dafür geschämt, dass ich nichts tun konnte und feige war.
Ich hörte seine Gedanken und hörte ihn beten, und kein Lebewesen auf dieser Welt war Gott in diesem Moment näher, als er, weil wir vergessen haben, dass wir da dazu gehören.
Was haben wir nicht alles für Gründe gefunden für ihr aller sterben?? Zu wenig Milch, nicht mehr Produktiv, zu alt, ja er musste sterben, weil er zu alt geworden war.
Aber alles wird alt auf dieser Welt, verdammte Scheisse noch mal, alles, alles wird alt auf dieser Welt und wir hatten überhaupt keinen Grund uns da einzumischen. Es muss alles alt werden dürfen, sonst geht der Wert verloren, und er war jetzt nichts mehr Wert und ist trotzdem für uns gestorben.
Ja, dieses Bewusstsein müssen wir ihm zugestehen, und wir werden in diesen Augen nichts anderes sehen als in denen, die in den Köpfen der Kinder waren, die in Vietnam, am ganzen Körper verbrannt, vor den Napalm-Bomben davon liefen.
Er waren solche Augen.
Es waren dieselben Augen.
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  #7  
Alt 19.08.2008, 09:08
dirk66 dirk66 ist offline
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Es hat einige Zeit gedauert bis sie unsere Grenzen wahrgenommen haben und merkten, dass wir es ernst meinen. Alles war wirklich gut vorbereitet und sie hätten eigentlich viel früher merken können, dass etwas passiert. Aber sie waren zu sehr mit sich selbst und ihren Kriegen beschäftigt, zu sehr damit beschäftigt Schuldige zu finden, und deshalb passten sie einfach nicht auf. Wir alle wussten, dass wir das, was wir da vor hatten nur ein einziges Mal versuchen konnten und dass es keine zweite Chance geben wird. Es war vorbereitet wie damals der Umzug von Brittnau nach Langnau, nur dass wir diesmal keine Fehler machten und uns alle einig waren. Wir alle waren uns einig. Wir wollten wieder eine Einheit sein. Wir alle waren uns einig, dass wir in Frieden miteinander leben wollen und dass unsere Kinder in Frieden aufwachsen sollen. Darüber waren wir uns alle einig und kannten die Regeln, die zu diesem Frieden gehören.

Wir respektierten uns und wurden Lebewesen.
Wir haben uns nicht alle geliebt, aber wir konnten uns in die Augen schauen und „Grüetzi“ und „Auf Wiedersehen“ sagen, und haben das stets so gemeint wie wir es sagten.
Respekt.

Im Dezember 2007 war es dann soweit. Innerhalb einer Woche kündigten zweitausendachthundertundzwölf Bewohner der Gemeinde Langnau bei Reiden ihre Konten bei diversen Banken und zahlten das Geld auf ein einziges Gemeinschaftskonto ein. Eine der wichtigsten Regeln war, dass alles allen gehört. Im Oktober und November zuvor war bei insgesamt einunddreissig Zusammentreffen der erste Januar 2008 als der Tag vereinbart worden, ab dem in unserem, und durch unser Dorf kein Auto mehr fährt und, soweit wie möglich, auch kein Auto mehr im Dorf sein sollte. Aber dazu mehr später…
Innerhalb einer Woche haben alle alles, was sie an Geld und Wertpapieren hatten, auch das ganze Geld, welches sie für Schmuck, Autos und für Grundstücke und Häuser ausserhalb des Dorfes bekamen, auf ein Konto einbezahlt. Keiner besass auch nur noch einen einzigen Franken, und obwohl keiner mehr etwas hatte, waren nach dieser Woche zweitausendachthundertundzwölf Menschen Multimillionäre. Jedem gehörte alles und von heute auf morgen hatte niemand mehr Schulden. Alles was im Dorf nicht uns gehörte wurde abgelöst oder getauscht und anteilig die Steuern, die das Dorf der Eidgenossenschaft schuldete, was natürlich von einem Fachmann ausserhalb der Dorfes errechnet wurde, an das Steueramt Reiden überwiesen, mit dem Vermerk „Rückkauf, Gemeinde Langnau“ und in der Nacht zum 1.1.2008 sperrten wir alle Strassen. Oh ja, wir waren gut vorbereitet und noch heute muss ich unseren Bauern ein Kompliment aussprechen, weil ich weiss, dass wir es ohne sie nie geschafft hätten. Ja, Freunde, die meisten Bauern blieben, weil sie es, glaube ich, satt hatten an einem scheiss Sonntag „Houuu, houu, ist schon gut“ zu sagen.

Als wir uns Anfang Oktober dazu entschieden, die Sache durch zu ziehen, waren die Bauern diejenigen, die die meiste Arbeit hatten. Und ich danke ihnen dafür, denn ich hatte nie das Gefühl, dass sie das nicht gerne machen. Ja, wir waren alle aus Überzeugung mit dabei. Die meisten von uns haben zu der Zeit schon nicht mehr ausserhalb geschafft und deshalb haben wir alle so gut geholfen wie es geht. Aber nur ihrem Wissen und ihrem Respekt uns gegenüber haben wir es zu verdanken, dass wir der ersten Winter mit einem Lachen überstanden haben. Niemand hatte Hunger und niemand hatte Kalt.

Meine Güte, Leute, war das ein schöner Winter. Wir haben alle ausgemacht, dass niemand den Schnee wegräumt. Man, war das ein schöner Winter.
Ich weiss noch, wie ich eines Abends mit meinem Sohn in einer Dreiviertelstunde die gesamte Grenze unseres Dorfes abgelaufen bin. Und ich sagte zu ihm, dass wir jetzt die ganze Welt gesehen haben. Ich glaube auch, dass war der Abend, an dem ich die tiefste Liebe empfunden die ich je gespürt habe. Ich liebte den Boden und die Bäume, und Freunde, ich liebte das Kind das ich bei mir hatte. An diesem Abend, in dieser Nacht, wurden wir wieder eins mit der Welt und spürten tief in unseren Herzen, dass wir wieder dazu gehören.
Ich sah das Strahlen in Luki’s Augen und wusste, es werden nie solche Augen werden wie seine. Ich habe durch die Häuser hindurch geschaut und geliebt und es war ein überwältigendes Gefühl. Ich konnte in dieser Nacht nicht schlafen, so aufgedreht war ich, wie auf Koks oder Speed, wie auf eine Droge, die Liebe heisst. Alle Lebewesen passten auf mich auf und ich durfte auf sie aufpassen. Wir haben uns zurück geholt, was uns eh schon gehörte.
Nicht alles, nur ein Stück.
Respekt.


Erst 2013 haben wir vor dem Bundesgericht Recht bekommen, nachdem wir sechs Jahre lang geklagt hatten. Zu der Zeit hatten wir schon unseren eigenen Strom und unser eigenes Wasser. Das war das Erste, um das wir uns gekümmert haben, nach diesem Winter, von dem ich glaubte, dass es der schönste war. Aber es kamen noch schönere. Das Bundesgericht hat uns das Dorf Langnau b. Reiden am 16.08.2013 als unser Gemeinschaftseigentum zugesprochen. Das bedeutete die Unabhängigkeit von der schweizer Eidgenossenschaft und auch vom Rest der Welt. Und damit waren wir das erste autonome Dorf auf dieser Welt. Ich vermeide absichtlich das Wort „Staat“. Wir wollten nie ein Staat werden; wenn wir das gewollt hätten, dann hätten wir uns alles genommen, und nicht nur ein Stück. Wir sind immer das geblieben, was wir waren, ein Dorf. Wir waren nicht mehr steuerpflichtig und wir nahmen keine Post mehr an. Keine Polizeistreife durfte auf unseren Strassen fahren und selbst der Blocher, als er mit seiner Leibgarde kam, musste ab dem Ortseingang zu Fuss gehen. Es muss verwirrend und erniedrigend gewesen sein, niemand hat ihn empfangen, und als er fragte, wo unser Sprecher wäre, sagten wir, er kann sich einen aussuchen, wir können alle sprechen.

Oh Gott, was hat der Mann nicht alles für einen Schwachsinn erzählt, er hat alles aufgezählt, was es zwischen Untergrabung der Staatsautorität und Diktatur gibt. Feinde, Verräter, ja, wir waren ein ganzes Dorf voller Irre, eine Sekte; in seinen Augen haben wir unsere Kinder misshandelt, weil sie nicht den Fahrausweis machen durften.
Nicht dürfen, haben wir gesagt, wollen!

Meine Güte, hat der Typ nen Scheissdreck erzählt….
Er drohte uns mit Polizei und Armee, aushungern werde er uns, hat er gesagt.-) und ihn anbetteln…

Ich hab echt keine Ahnung, ob der Blocher noch lebt, aber er hätte bis zum Schluss mitessen dürfen. So viel hatten wir. Wir hatten so viel, dass wir, denen, die „draussen“, die gar nichts mehr hatten, was schenken konnten. Denen da draussen, die nicht einmal mehr satt wurden.

Keiner von uns hat mehr etwas besessen, und doch gehörte Alles Allen. Es gab kein „Mietzins“ mehr und es kam auch keine Stromrechnung mehr. Es wurden keine Versicherungen mehr abgeschlossen. Und die einzigen Fahrzeuge, die es noch gab, waren Traktoren. Aber auch die waren nicht versichert.
Ja, glaubt mir, wir waren wirklich gut vorbereitet und uns alle einig.

Ich denke fast, dass keiner von uns geschlafen hat. In dieser Nacht zum 01.01.2008.
Wir wussten, dass alle Formalitäten erledigt waren. Und warteten fieberhaft auf „Mitternacht“. Und als es endlich soweit war,: zündete niemand, wirklich „Niemand“ eine Rakete an. Nein! Punkte zwölf Uhr wurden alle Strassen gesperrt, die wichtig waren.

Alle, die zum Dorf gehörten, waren in dieser Nacht im Dorf und wir liessen keinen mehr durch fahren. Die nördliche Seite, da wo alle von Reiden kommen, wurde gesperrt. Und die südliche Seite, Richtung Dagmersellen, war auch gesperrt. Wir liessen keinen mehr durchfahren. Schwere Baumstämme wurden über die Strassen gelegt, und nicht einmal 20Minuten später, war die Polizei im Einsatz. Zuerst ritten sie auf ihrer Gesetzestour herum. Mit der „Strassenverkehrsordnung“ kamen sie uns… Aber wir sagten ihnen, dass es ab jetzt und sofort auf unseren Strassen keinen Verkehr mehr zu ordnen gibt. Und wir sagten zu ihnen, dass wir nicht mehr mit ihnen reden. Sie haben uns gedroht, aber wir reagierten überhaupt nicht mehr. Und sie konnten nicht handgreiflich werden. Wir waren einfach zu viele. Wir waren uns einfach einig. Wir waren wieder frei!

Es ging nicht lange, da schrieen die ersten Autofahrer was von „Erschiessen, von Vergasen und Anarchisten… Aber es half nichts, weil sie in dieser Nacht nicht sooo viele Beamte herbeibringen konnten…. Und dann fingen sie um 1:23 Uhr an den Verkehr umzuleiten. Und das ist bis heute so geblieben!

Glaubt mir: Dass ist bis heute so geblieben.

Am späten Nachmittag des 1ten, 1ten, rückten sie dann ein. Mit 40 Hundertschaften. Eine ganze Armee. Eine überwältigende Übermacht. Sie haben sofort Regeln aufgestellt: „Keiner darf das Haus verlassen“!
Aber dummerweise waren wir nicht in unseren Häusern. Wir waren in unserem Dorf. Und wenn sie an irgendeiner Sperre fünf Leute von uns weg trugen, dann kamen von irgendwoher, aus dem Wald, aus dem Schnee und aus unserem Dorf fünf neue.
Und so ging es den ganzen Nachmittag. Und sie taten uns alle leid. Hilflos waren sie, wie Fische auf dem Trockenen. Hilflos wie die Kühe auf ihren Anhängern. Und darüber hinaus noch dazu verpflichtet…..
Und ich glaube sie weinten… Und wahrscheinlich, weil sie keine Wahl hatten….

Aber hoouuu, hoouuu hat der Vorgesetzte gemeint. „Alles wird gut und wir werden neue Chancen haben“

Was hätten sie tun können?
Was hätten wir tun können?

Nichts haben wir tun können, und sie auch nicht. Sie probierten es mit Gruppen, aber wer hätte dir nach laufen sollen, wenn du davon läufst? Einer von den zweien, die die restlichen achtzehn bewachen?
Absurd!
Hätten sie alle 1003 Männer verhaftet und in ihren Einsatzwägen fort gebracht? Was dann? Dann wären unsere Frauen, Kinder und sogar die Grosseltern gekommen… Und letztendlich auch die Bauern, mir ihren Kühen, Hühnern und Hunden.

Was hätten sie machen sollen, ausser Respekt vor uns zu haben?

Ja ich weiss, sie weinten innerlich. Sie hatten nicht den Mut, sich einfach zu uns zu stellen – so wie ich weinte, weil ich zu feig war, ihm zu helfen; damals. Sie hatten es genau so satt wie wir. Sie wollten doch einfach nur ihre Ruhe. Innerlich gekündigt…. Daheim sein und fertig werden und sich nichts mehr erzwingen müssen. Und das wollten wir auch. Wir waren vorbereitet.

Aber sie waren noch nicht soweit. Sie haben noch einen Schuldigen gesucht dafür, dass sie jetzt hier standen und es verdammt kalt war. Sie waren bös mit uns, weil sie ja eigentlich daheim sein sollten. Bei ihren Frauen und Kindern. Ja! Sie suchten immer noch einen Schuldigen und sie fanden einen – uns.

Und so wurden sie mit der Zeit zornig und böse. Sie fingen an zu schreien und zu schlagen. Aber wir schrieen nicht zurück und brauchten uns auch nicht zu schlagen. Denn wir waren gut vorbereitet und wussten eh wie es ausgeht. Zuletzt werden wir Sieger sein und es wird nie wieder Krieg geben. Und weißt du auch warum? Weil wir uns für den Frieden entschieden haben!
Für immer?
Ja, für immer ich
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  #8  
Alt 19.08.2008, 09:48
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Standard und weiter gehts....

Es war der erste Winter und der längste war es auch. Unsere Kinder hatten keine Schule von Januar bis März. Das lag zum Teil auch daran, dass wir alle von der Polizei und dem Militär ständig in die Gegend herum getrugen wurden. Wir fingen schon an Witze zu machen:“ Hoi du, wo tragen sie dich denn schon wieder hin?“. Und wir haben uns echt amüsiert, weil sie den einen dahin, und den anderen dorthin trugen. Hihi, eine Zeit lang haben sie versucht uns 20 Kilometer von unserem Dorf wegzufahren und uns dann irgendwo auszusetzen. Mann war das ein Spass! Wir gingen einfach auf dem kürzesten Weg zurück. Und das war in der Regel die Autobahn. Du kennst ja die Meldungen: “Achtung, auf der A1 befinden sich Kühe auf der Fahrbahn!“ Naja, zwei von dreien wurden von den selben Beamten heim gebracht, die sie ausgesetzt haben….

Ab Mitte März, als unsere Kinder wieder in die Schule gingen (ein Teil der Lehrer war tatsächlich geblieben), kam eine Zeit, wo der Alltag wieder einkehrte. Und jeder wusste: „Nicht Reden, sondern Handel war die Zukunft. Und wir wussten alle um was es ging. Um alles…

Die Grenzen waren gut bewacht und der Rest vom Dorf ging wieder zum normalen Alltag über. Mit dem „Kinder-in-die-Schule-bringen“ kam die Normalität wieder. Zweimal in der Woche trafen wir uns alle zum Reden, bis auch der letzte von uns verstanden hat, dass nicht reden sondern handeln die Zukunft ist. Und somit sind wir alle miteinander raus auf die Felder und halfen den Bauern bei der ersten Ernte. Wir haben alle miteinander Holz geschlagen, Kühe gemolken und wir füllten die Silos und errichteten Erdkeller und Vorratsspeicher. Unsere Wiesen und Felder wurden nicht mehr in Plastiktüten eingewickelt und es gab keine Kühlschränke und Gefriertruhen mehr im Dorf. Es gab kein Verfallsdatum mehr und deshalb wurde auch nichts mehr weggeschmissen. Unser erstes Erntedankfest feierten wir vor der Kirche, nicht drinnen, drinnen wächst nichts.
Wir stauten den Dorfbach und bald waren unsere ersten 2 Stauseen fertig. Und was wir noch zusätzlich an Strom und Wasser brauchten kauften wir draussen und bezahlten in ihrer Währung von unserem Gemeinschaftskonto. Aber,das war nicht lange nötig. Das Gemeinschaftskonto wurde im Laufe der Zeit immer unwichtiger.

Wir waren kein Dorf voller Deppen. Bei uns gab es nahezu alle Berufsleute. Maurer, Schreiner, Architekten und Ingenieure. Es gab Metzger und Bäcker. Allein Rechtsanwälte gab es nicht mehr (Bei uns gab es nichts mehr zu verdienen). Es gab auch Leute, die gar nichts gelernt hatten. Und komischer weise waren das zum Teil die kreativsten, die, die uns manches Mal mit guten Ideen aus der Klemme geholfen haben. Und wisst ihr was? Es gab auch wieder Dorfdeppen. Wir haben mit ihnen gelebt und sie nicht in Heime gesteckt. Für Heime hatten wir kein Geld, keine Zeit und vor allem kein Verständnis.

Natürlich mussten wir zu erst einmal weiter draussen einkaufen. Solarzellen wachsen nicht wie Rüebli auf dem Feld. Aber wir haben auf diese Zeug aufgepasst, wir haben es nicht ausgetauscht wenn es kaputt war, Wir haben es geflickt und irgendwann hatten wir einfach alles, und alles konnte geflickt werden. Ja: Alles. Wir waren keine Deppen und wirklich gut vorbereitet.

Wir alle wurden Richter (Und ich dachte immer, dass muss man auf einer Uni studieren). Nein. Richter muss man lernen; vom Leben; mit Respekt…

Unsere Kinder waren, glaube ich, die glücklichsten auf der Welt. Sie brauchten nicht mehr besser zu sein als andere Kinder. Und sie mussten auch nicht das werden, was wir nicht geworden sind. Wir haben einfach nur ein wenig auf sie aufgepasst, und wenn man ein wenig auf sie aufpasst, dann sieht man, wofür sie eine Begabung haben. Wir legten einfach keinen Wert darauf, dass alle gleich gut schreiben und lesen konnten.
Wenn einer nicht gut schreiben konnte, dann hiess das noch lange nicht, dass er nicht gut mit Tieren umgehen kann, oder mit Farben oder Tönen. Sie durften Kinder sein.
Es gab überhaupt keine „Klassenunterschiede“ mehr, weil wir eine Einheit wurden und jeder von uns gleich wichtig war. Jedem gehörte alles. Jeder war alles. Und wir gehörten endlich wieder dazu…

Klar, haben wir uns nicht alle geliebt. Das wäre wohl nicht möglich. Es gab nach wie vor Eifersucht, Neid und Antipathie. Und wir haben zum Teil deftig gestritten. Aber das war anders. Wir konnten uns nicht mehr aus dem Weg gehen oder uns z.B. verklagen. Wir waren ja die Richter…
Also haben wir stets alles bis zu einer Lösung besprochen und jeder hat jeden respektiert. Wir haben darauf geschaut, was einer tut und nicht wie einer aussieht. Wir schauten auf Hände und Mund, und nicht auf Hose oder Schuhe.

Unsere Kinder und Alten wurden von allen versorgt. Sie bekamen überall etwas zum essen und durften schlafen wo immer sie wollten. Schule war Tag und Nacht und Schlafen lernen war genau so wichtig, wie wach sein. Einmal im Jahr war es ein grosses Ereignis, dann wenn wir unseren Kindern und Alten das Kommando übergaben… Sie durften alles machen, vom Frühstück am Morgen bis am Abend. An dem Tag durften sie nach uns ins Bett gehen und mussten vor uns aufstehen. Sie legten uns die Sachen zum Anziehen hin und brachten uns in die Schule. Ja, an dem Tag gingen wir in die Schule, und wehe, dass Essen war nicht fertig, wenn wir am Mittag heim kamen
Manchmal bin ich fast vor Lachen zusammengebrochen, wenn sie uns so gefragt haben: „Na, wie war’s denn in der Schule“?
Oder: „Geht bitte ein bisschen draussen spielen, wir möchten unsere Ruhe haben“. Es waren sackgeile Tage, und damit hat es nicht aufgehört bis zum Schluss. Sie haben nie aufgehört unsere Kinder zu sein.

Wir konnten mit unseren Kindern nicht so sorglos umgehen, wie ihr mit euren.
Wir hatten nur noch diese.
Es kamen keine mehr nach!


Aber überall war Krieg, und das habe ich jetzt mal wieder fast vergessen.
Der Lastwagen blieb ruckartig stehen, und weil er nur noch auf drei Beinen stand, schlug er heftig mit dem Kopf gegen die Bordwand. Ein Teil seiner Schädeldecke, mit einem Horn und einem Ohr, ist heraus gebrochen und ein Teil des Gehirns lief ihm über sein Gesicht und tropfte auf den Boden. Er brach zusammen und durch sein Gewicht wurden auch die Vorderläufe gebrochen und er konnte nicht mehr aufstehen. Aber welcher Schmerz könnte grösser sein als das Bewusstsein, das du die Sonne heute nicht mehr unter gehen sehen wirst?
Er war der letzte im Anhänger und er konnte nicht mehr aufstehen. Da half nichts mehr: Keine Prügel, kein Elektroschocker und auch kein eingedrücktes Auge. Die anderen wurden weg getrieben und ein Gabelstapler fuhr auf die Rampe. Er fuhr mit der Gabel unter seinem Bauch und hob ihn auf. Noch einmal registrierte sein Gehirn, dass der Schmerz noch zunahm und er schrie auf als es ihm die Haut abgezogen hat und die Bauchdecke aufplatzte. Die Därme drückte es raus auf den Boden des Anhängers. Sie fuhren ihn hinaus auf den Platz. Aber über die Mauern schien die Sonne nicht drüber. Sie hat überhaupt nicht mehr geschienen an diesem Tag. Und deshalb konnte sie auch nicht untergehen.

Als wir uns 2025 entschlossen haben, dass wir keine Kinder mehr wollen und von dieser Welt verschwinden, war die Aufregung gross. Unsere Kinder waren immer unsere Zukunft, und jetzt sollte es keine Kinder mehr geben?
Wir hatten einfach die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wir hatten vergessen, dass überall Krieg ist auf dieser Welt. Aber als uns das wieder bewusst wurde, haben wir die Konsequenzen gezogen und einstimmig beschlossen, Männer und Frauen, dass wir keine Kinder mehr wollen. Und unsere Kinder haben wir aufgeklärt, und sie wollten dann freiwillig keine Kinder mehr. Wir haben unsere Kinder von Anfang an nicht belogen. Wir haben ihnen keine heile Welt vorgespielt. In einer heilen Welt gibt es kein drinnen und draussen. Und so haben auch unsere letzten Kinder gelernt, was Gewalt und Zorn ist. Eine Zeit lang waren wir ein Paradies für Arschlöcher… Sie fuhren mit ihren Jeeps, Bikes und Offroader durch unsere Felder. Und sie waren froh, dass es in unserem Dorf keine Polizei gibt. Sie konnten endlich einmal ausbrechen. Sie konnten von Null auf Zweihundert beschleunigen, ohne Busse) Sie konnten sich selbst sein. Aber sie hatten keinen Respekt.

Wir haben uns zusammen gesetzt und diskutiert, was wir machen können. Wir wollten nicht mehr so sein wie ihr. Wir hatten uns für den Frieden entschieden. Also haben wir Fallgruben geschaufelt, Seile gespannt und unsere Hunde in der Nacht draussen schlafen lassen. Keiner von den Idioten hat mehr als einmal sein 100000 Franken teures Auto verschrottet. Denn es gab auch keine Versicherung und auch keinen TCS. Wir haben dann jeweils die geschrotteten Autos am nächsten Tag vor unseren Grenzen abgestellt. Meist wurden sie abgeholt. Und die anderen Autos, für die sie sich geschämt hatten, waren brauchbare Ersatzteillager… Für uns


Aber unsere Kinder haben das alles miterlebt und haben gelernt daraus. Aber was hat es uns geholfen, dass wir Langnau giftfrei machten? Auf den Rest der Welt betrachtet, natürlich nichts. Aber wir wollten auch nicht die Welt verändern. Wenn wir die Welt gewollt hätten, dann hätten wir uns alles genommen. Und nicht nur das Dorf.

Aber wir wollten nur das Dorf. Und wir wollten, jeder für sich weiter wachsen. Wir waren uns einfach darüber einig, dass wir fertig werden wollten.

Es gab kein Plastik mehr bei uns und es lief kein Rasenmäher mehr. Es fuhren keine Autos und keine Töff’s mehr. Und es hat keinen, ausser kompostierbaren Müll mehr gegeben. Alles konnten wir gebrauchen, und es ist wirklich nichts übrig geblieben. Nicht einmal aus der alten Zeit.

Wir hatten richtige Ersatzteillager für unsere Wind-, Wasser- und Sonnenkraftwerke. Wir haben getüftelt und gebastelt und erfunden. Es gab nahezu alle Berufsgruppen und jeder war freiwillig hier und niemand hatte innerlich gekündigt.. Und es gab keinen Neid mehr, keine Intrigen, keine Gewalt und keinen Hunger.

Eines war uns von Anfang an klar: Wir können die Welt da draussen nicht ändern. Wenn der Dreck von draussen reinläuft, oder wenn er vom Himmel regnet, dann können wir nichts dagegen machen. Der Bach ist genau so sauber, wie er ins Dorf rein fliesst. Und der Regen ist so, wie er von oben runter kommt. Aber um das ging es nicht. Wir wollten uns, und nicht die Welt säubern. Wir wollten nur für uns fertig werden und sauber sein.
Wir interessierten uns einfach nicht mehr für ihre Belange. Wir wollten nur uns selbst sein.

Und trotzdem wurden wir überfallen, obwohl es nichts zum mitnehmen gab. Wir waren die Schuldigen und sie die Bestrafenden. Sie haben unsere Frauen vergewaltigt und unsere Alten geschlagen. Sie haben unsere Kinder verschleppt und uns unsere Träume genommen. Ja, sie haben uns unsere Träume genommen, und ohne Träume gibt es keine Zukunft.
Also: Keine Kinder mehr.
Denn uns waren die Träume wichtiger.
Wir selbst haben uns so entschieden und wir wurden mutig und unerpressbar. Irgendwann war der jüngste in unserem Dorf zwanzig und es gab keine Kindergärten, keine Schulen und auch keine Lehrstellen mehr.
Keine Lehrer und keine Lehrherren. Es kamen keine behinderten Kinder mehr auf die Welt und Keuchhusten und Masern hat eh schon lange niemand mehr gesehen. Wir mussten um nichts mehr Angst haben…
Nur noch ein bisschen wachsen und fertig werden…..

Ich wache schweissgebadet auf. Ich hatte einen beschissenen Traum. Ich träumte, dass ich Fleisch gegessen habe. Ich habe den Geschmack noch immer im Mund und sitze da und habe Angst, weil der Traum so realistisch war. Ich weiss, dass ich sterben muss, wenn ich noch einmal Fleisch esse. Denn ich habe unterschrieben, ich habe meinen Vertrag gemacht. Ich weiss, dass er mich nicht umsonst hat überleben lassen und dass er immer anwesend ist. Aber Gott sei dank hab ich das nur geträumt… Ich stehe auf und gehe in die Stube zu unseren Hühnern und hole die Eier. Angi schläft noch und seit Lukas sein eigenes Haus hat, ist es recht still bei uns geworden. Es ist überhaupt still bei uns im Dorf, es gibt keine Kinder mehr und es wird schwerer von Tag zu Tag. Erst jetzt bekommen wir alle das Ausmass unseres Entschlusses so richtig zu spüren. Es gibt keine Kinder mehr. Ich bin traurig in dieser Zeit und hole ein altes Fotoalbum heraus und schau auf die Vergangenheit. Aber stolz bin ich auch, dass Luki überlebt hat. Er ist ein grosser Mensch geworden, unser Kind, ein Fürst auf dieser Welt. Und seine Eltern waren Könige von einem alten Stamm, der langsam ausstirbt…

Ich richte unser Frühstück her, wecke Angi und lasse dann den Tag beginnen. Ich bin jetzt dreiundsiebzig Jahre alt und der jüngste Mensch im Dorf ist dreizehn. Wir schreiben das Jahr 2038 und sie haben alle Belagerungen aufgehoben und uns in Ruhe gelassen. Wir sind freie Menschen und haben das bisschen Land, für das wir die Verantwortung übernommen haben in Ordnung gebracht und wir geben es sauber zurück. Wir geben es so zurück, dass es auch ohne uns überleben kann. Wir haben es sozusagen entwöhnt in all den Jahren und es erlangte seine eigene Dynamik zurück. Wir haben es bebaut, und es liess uns nie hungern. Die Kornspeicher waren immer voll und Anna-nass gab es nur, wenn jemand eine von draussen mit brachte. Es gibt keine Kinder mehr bei uns. Sag mir: Wie anders, als so, hätten wir unsere Liebe ausdrücken können? Wir haben niemals auf mehr verzichtet, als auf unsere Kinder. Ich bin niemals Grossvater geworden und hatte niemals ein Enkelkind auf dem Schoss…
Aber wir haben auch viel dafür bekommen. Wir bekamen Frieden, Respekt, Liebe und endlich unsere Ruhe.
Ja, die Welt schaut auf uns und sie weinen um jeden, der stirbt, weil sie wissen, dass keiner mehr nachkommt.
Ja, wir werden lange in ihren Geschichten vorkommen und ihre Kinder werden mit grossen Augen zuhören. Wenn die Alten von uns erzählen und sich erinnern.

Ja, wir haben viel bekommen.

Ewigkeit.
Wir sind fertig geworden.
Im Wissen, dass nichts Schlechtes von uns zurück bleibt.

Wir mussten keine Angst mehr haben und sind Wertvoll geworden. Ja, wir haben viel bekommen, und überall war Krieg……
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  #9  
Alt 19.08.2008, 23:42
dirk66 dirk66 ist offline
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…Sie flogen hinaus in die Finsternis und als sie ganz, ganz weit draussen waren, sahen sie zum Fenster hinaus und waren sprachlos. Niemals zuvor hatte ein Mensch oder ein anderes Lebewesen das gesehen, was sie da jetzt grade sahen.
Sie waren die ersten und sie waren sprachlos. Sie sahen eine blaue Kugel im Universum schweben, und als sie ihre Sprache wieder fanden, sagten sie nur, dass sie Gott gehen haben.
Ja, stell dir vor, sie sagten, dass sie Gott gesehen haben. Zum ersten Mal schauten Menschen von dieser Welt zu ihren Gott hinunter und nicht hinauf.

So sauber
So rein
So schön und klar
So zerbrechlich und verletzbar
So allein und ungeschützt
Die Welt!

Ja, sie sahen die Welt und nannten sie Gott. Aber die Viehtransporte fuhren weiter, dort unten auf ihrem Gott. Und sie fuhren den Tod tausendfach durch die Gegend, und Stück für Stück haben sie ihn geschlachtet, ihren Gott. Und all die Pfaffen und Bischöfe und Päpste standen im Coop hinter den Wursttheken, die ihre Altäre waren, und die übrigen einfachen Leute, beteten den schwarzen Pressack an.
Ja, sie sahen Gott, als sie von dort oben herunter schauten. Und als sie wieder unten waren, schauten sie hinauf und sagten: „Danke lieber Gott“

Aber sie bekamen keine Antwort…


Mein Vater ist mit den Kindern im Garten und pflückt Himbeeren. Ich glaube er ist glücklich, ja ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er glücklich ist. Luki und die anderen Kinder sind gern beim Grossvater und es ist für sie immer etwas Besonderes. Vielleicht, weil wir so selten dort sind, obwohl wir doch gar nicht so weit auseinander wohnen. Aber wahrscheinlich macht es das grade zu etwas Besonderem wenn wir die Grosseltern besuchen. Der Opa werkelt mit ihnen und sägt Holz, sie spielen im Garten und Opa kriecht immer noch auf allen vieren mit ihnen im Garten herum. Das tun wir auch, aber beim Opa ist es was besonderes, weil es nicht immer ist. Alles, was nicht immer ist, ist etwas Besonderes.
Ich setze mich zu ihnen rüber auf die Couch. Und mein Kleiner setzt sich auf meinen Schoss. Er redet nicht viel, dass heisst, er redet schon gern, aber nur das was er kann. Und anscheinend denkt er, dass das schon ausreicht was er kann. Er hat ein paar Sätze drauf und mit denen kommt er überall ganz gut durch. Überhaupt hatte er eine eigene Sprache. Ich kann mich erinnern, als die zwei Nachbarsbuben das Sprechen anfingen. Da hatte das, was man ihnen vorsagte noch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, was sie nachsagten. Dann war das dann eben nicht die Schildkröte, sondern die Grodda, das kann man noch durchgehen lassen. Aber mein kleiner, der Luki, hatte seine eigenen Ausdrücke und manchmal habe ich ihn einfach überlistet und ihm einen neuen entlockt. Wie auch heute bei meinem Vater.
Ich habe ihn auf dem Schoss und sag zu allen sie sollen mal herkommen. Dass wir jetzt eine Sprachvorführung machen und dass Lukas alles nachsprechen kann, was ich ihm vorsage.
Alle waren ganz gespannt und Lukis Augen strahlten und ich habe nie zuvor so viel Stolz in seinem Gesicht gesehen, als ich zu ihm sagte, „Sag mal Opa“ und er dann laut und deutlich Opa, Opa Opa sagte.
Da klatschten und tobten wir alle, bravo bravo schrieen wir, der Wahnsinn. Meine Schwester, meine Mutter, meine Frau und die anderen Kinder, alle klatschten und lobten ihn.
Aber das war nicht schwer, weil er Opa schon längst sagen konnte und danach Oma und Mama und Papi, aber jedes mal klatschten und schrieen wir vor Begeisterung. Und jedes Mal ist er ein Stück gewachsen.
Aber den Namen vom Sohn meiner Schwester konnte er nicht sagen und als ich dann plötzlich, nachdem er so viel gewusst hatte, sagte „Und jetzt sag mal Robert“… Da konnte er nichts anderes sagen als „Wewa“.
Und wir alle klatschten und schrieen und sprangen herum vor Freude. Wewa, Weeewaa! Und Robert fragte: „Was ist denn?“
Wewa, wewa – aber es war Krieg, und keiner sah, dass ich da sitze mit meinem Gott auf dem Schoss und lache.


Ein dumpfer Schlag durchströmt sein Gehirn und alle Schmerzen sind wie weg geblasen. Der Metzger legt den Schussapparat auf Seite und schneidet ihm die Halsschlagader auf. Er ist noch nicht tot und das Blut wird herausgepumpt von einem gesunden Herzen, das noch nicht weiss, dass seine Zeit abgelaufen ist. Er kann noch sehen, und während ihm die eigenen Gedärme ins Gesicht rutschen, weil er an Ketten an den Hinterläufen hochgezogen wird, ziehen sie ihm schon das Fell ab.
Er kann noch sehen, aber er spürt nichts mehr.
Oh Gott ich hoffe er spürt nichts mehr.
Ich habe Angst, dass mein Denken aussetzt, wenn ich glauben würde, das er noch was spürt. Ich habe Angst, dass ich dann nicht mehr schlafen könnte und nicht mehr mit euch lachen. Ich wollte doch nur eine Geschichte erzählen, aber ich habe keinen Traum dazu gehabt.

Aber es war Krieg und sie haben sich dafür entschieden in Zorn und Krankheit von dieser Welt zu gehen. Sie haben es nicht in den griff gekriegt und ich schau hinauf zum Himmel und sehe die weissen Streifen länger und breiter werden. Ich ziehe meine neuen Schuhe aus und rieche an ihnen. Mein Sohn hat sie gemacht, ja, mein Sohn ist Schuster geworden. Jetzt sitze ich hier unter seiner Birke und er sitzt bei mir und freut sich, dass die Schuhe so gut passen. Ich rauche einen Joint, dass habe ich mir bis zuletzt nicht abgewöhnen können, und ich bin der Geschichtenerzähler geworden und auch der Einzige, der von Zeit zu Zeit das Dorf noch verlässt. Wenn ich draussen bin, halte ich mich an all ihre Regeln und werde überall respektvoll behandelt. Ich bin Geschichtenerzähler und Träumeverbreiter, und auch wenn überall um mich herum Krieg ist, sie wissen, dass sie mich brauchen, weil der Mensch Geschichten und Träume braucht zum Überleben. Sie freuen sich, wenn ich komme und manchmal sitze ich vor achthundert Leuten und erzähle aus unserem Dorf. Und wie kleine Kinder sitzen sie da mit grossen Augen und schütteln ungläubig den Kopf und sagen: „Das gibt es nicht“!

Ohne Geld, ohne Kaffee, ohne Fernseher und Mastercard, nein, sagen sie, dass gibt es nicht. Aber sie fangen an zu träumen und leben mit mir für zwei Stunden meinen Traum und alle kommen sie in meinen Geschichten vor. Ich schau mir ihre Gesichter an beim Vorbeigehen und sehe ihre Verletzungen, Misshandlungen und Gewalttaten, die sie ihnen angetan haben, damit sie anständige Menschen werden. Wann haben sie endlich den Mut, nein zu sagen, wann glauben sie endlich, dass es nur mit Respekt geht?
Ich erzähle ihnen, dass bei uns im Dorf alles alt werden darf und nie an Wert verliert. Ich erzähle ihnen, dass unsere Kühe frei herum laufen und jeden Abend freiwillig heim kommen, uns ihre Milch bringen und bei uns schlafen. Sie werden nicht mehr geschlachtet, sonder sie sterben für uns. Sie werden nicht mehr gezüchtet sonder vermehren sich für uns.
Erst wenn sie ihren Sonnenuntergang gesehen haben, war es freiwillig und es bleibt nichts von ihnen übrig. Wir haben eine eigene Käserei und machen unsere Butter und unser Brot selber. Wir müssen nichts mehr kaufen und wenn jemand krank wird, muss er nicht in ein Wartezimmer hocken, nein, der Doktor kommt zu ihm. Der Doktor wird vom ganzen Dorf versorgt und muss sich um überhaupt nichts kümmern. Ich erzähle ihnen, dass wir aufeinander aufpassen und wenn ich wieder heim komme, Ende November, dann ist mein Holz schon gemacht und meine Speisekammer voll. Ich erzähle ihnen, dass ich Geschichtenerzähler bin und in unserem Dorf genau so wichtig wie der Bäcker oder Schreiner. Aber sie sagen, dass gibt es nicht und träumen schon davon.

Ich rieche an meine neuen Schuhe und rieche meinen Sohn und ich rieche zurück in die Vergangenheit und erinnere mich an die Sauberkeit, die ich gerochen habe, wenn er sich an mich gekuschelt hat im Bett und seine Hand auf mein Ohr gelegt hat. Ich höre sein Atmen und kann ihn riechen, und er steckt seine kalten Füsse zu mir unter die Decke und sagt, gute Nacht. Ich rieche fünfundzwanzig Jahre zurück und schaue hinüber zu ihm. Er riecht immer noch so gut, er ist immer noch mein kleiner Bub, und als würde er wissen was ich gerade denke, schaut er mich an und sagt, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen, und ich weiss, dass ich fertig geworden bin und nicht noch einmal auf die Welt kommen muss.

Im Jahre 2016 haben sie die letzten Polizeikräfte abgezogen. Und es ist Ruhe eingekehrt. Da gab es schon keine Strassen mehr und wir hatten unsere eigene Kläranlage. Unser Dorf ist richtig aufgeblüht, und Bachläufe, und kleine Seen entstanden dort wo wir sie brauchten. Unsere Alten liessen wir im Dorf, und steckten sie nicht in Alterheime, wie es damals üblich war. Wir haben ja eh geschnallt, dass Heime keine Lösung sind. Egal ob Altersheime, Pflegeheime, Sterbeheime oder Heime für schwer erziehbare Kinder. Auch Menschen mit dem Down-Syndrom wurden nicht in Heime gesteckt und sie waren stolz, stolz, die Dorfdeppen zu sein. Denn Menschen brauchen Dorfdeppen, genau so wie Geschichten. Und Dorfdeppen brauchen Menschen, Menschen, die auf sie aufpassen. Sie hatten ihre eigenen Häuser und wurden von uns mit versorgt. Sie wurden von ihren Enkelkindern auf dem Weg zur Schule versorgt und besucht. Und wenn sie keine Enkel hatten, dann wurden sie einfach von den anderen Kindern besucht. Sie hatten ja schliesslich was zum erzählen… Jeder hatte eine Oma und einen Opa. Eine Mutter und einen Vater, jeder hatte einen Bruder und eine Schwester. Mit der Zeit, wurden wir eine grosse Familie und haben auch, wie eine Familie miteinander, gelebt.

Irgendeiner kam zum Frühstück oder Mittagessen, und nie fühlte man sich beobachtet oder fremd. Wir wurden eine Einheit und jeder war gleich wichtig. Es gab einfach Leute, die gerne lange schliefen, und andere standen einfach gern früh auf. Es war egal, ob jemand bis um elf Uhr in den Federn lag, und der andere schon um vier Uhr am Morgen aktiv war. Aber jeder hat zu seiner Zeit was getan und es ging voran. Eigentlich wurde bei uns Tag und Nacht gearbeitet und lustigerweise auch Tag und Nacht gefaulenzt und geschlafen. Aber im Grunde waren wir alle genauso fleissig, wie es sein musste um uns in den Griff zu bekommen. Wir haben alle gearbeitet. Du weißt ja, der Mensch arbeitet im Grunde gerne, aber nur wenn er mag, und nicht wenn er muss. Eines Tages bin ich aufgestanden und alle Zäune im Dorf waren verschwunden. Ich hätte es wahrscheinlich gar nicht gemerkt, wenn ich keinen Hund gehabt hätte. Aber alle Zäune waren weg.

Ein anders Mal standen fünfunddreissig Leute in meinem Garten am Morgen in der Früh. Und du glaubst es nicht, sie hatten mir einen Bach quer durch das Grundstück angelegt. Sie wussten natürlich, dass ich mir immer einen Bach gewünscht habe vor dem Haus, in dem Forellen lustige Achten schwimmen. Und ich dachte in dem Moment, wo ich gecheckt habe, was die da gemacht haben, das ist ja der Wahnsinn. Und ich freute mich wie selten im Leben…

Diese Nacht muss der Wahnsinn gewesen sein. Sie deckten die Wiese mit Balken und Brettern ab, damit sie nicht zertrampelt wird (ja, wir passten sogar auf das Grass auf) und was die einen ausgeschaufelt haben, fuhren die anderen sofort weg, und die nächsten brachten Steine. Und so ist in dieser Nacht ein kleiner steiniger Bach mit zwei Staustufen entstanden. Als ich am Morgen heraus kam, waren sie grad dabei die Latten und Bretter weg zu tragen. Und auf der Wiese war kein Grasshalm zertreten und kein Dreck zu sehen. Sie hatten einen Bach hingezaubert, wo gestern noch keiner war. Und es hat so ausgesehen, als ob der Bach schon immer da gewesen ist. Das Wasser haben sie vom Hauptbach herüber geleitet, da, wo früher die Hauptstrasse war…
Wahnsinn, habe ich mich gefreut und als dann der Dustin am Nachmittag drauf, von der Arbeit kam (Dustin war unser Bachpfleger und kannte sich irrsinnig gut mit Fischen aus) ein paar Forellen mit brachte und sie aussetzte, musste ich einfach vor Freude weinen, vor all die Leute und ohne Scham, und mit Stolz, und ich bedankte mich bei ihnen. An dem Tag war ich an der Reihe mit kochen, und ich konnte gut kochen. Im Laufe der Jahre haben wir gelernt, anderen eine Freude zu machen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Das war echt Arbeit, das wieder zu lernen. Aber auch das ist uns gelungen und hat uns weiter gebracht. Wir waren ja schliesslich vorbereitet…
Und an dem Tag holte ich seit langer Zeit mal wieder meine Gitarre hervor und erzählte ihnen ein paar Geschichten.
Denn auch hier bei uns war ich jetzt der Geschichtenerzähler. Ich war der einzige, der noch nach draussen ging.
Ein grosses Feuer brannte in dieser Nacht und wir assen und tranken miteinander. Wir assen aber nur, was wir selber gepflanzt und geerntet hatten. Es war nichts Gekauftes auf unseren Tischen. Alles, was da war, war freiwillig da. Da war Brot und Butter, Honig und Marmelade, Käse, Obst, Gemüse, Wein und Bier, Nüsse, und auch Fleisch gab es, obwohl niemand mehr geschlachtet wurde; wir mussten auf nichts verzichten, und niemand vermisste auch nur irgendetwas. Bis spät in der Nacht tobten unsere Kinder draussen herum und wir vertrauten dem Mond und wussten, dass Universum gibt auf uns acht. Ich bin noch nicht so lange wieder daheim und erzählte ihnen wie es draussen aussieht. Und ich musste nicht mal übertreiben, sondern habe versucht sie zu schonen.
Ich habe ihnen erzählt, wie es draussen aussieht und es lief ihnen eiskalt den Rücken herunter. Nein, haben sie gesagt! Das kann nicht sein und sie schauten mich mit grossen Augen an….

Vögel, erzählte ich ihnen, habe ich gesehen mit drei Flügel und Katzen, denen Federn gewachsen sind. Fische mit zwei Köpfen schwimmen in ihren Flüssen herum, und sie fressen die verkrebste Leber von ihren Gänsen. Kein Mensch kann mehr schwimmen, weil sie es nicht mehr lernen können. Wo sollten sie es denn noch lernen? Ihre Seen sind Schlammlöcher und in ihren Flüssen scheint Tag und Nacht der Regenbogen. Häuser gibt es, so gross wie eine Kiesgrube, voll mit Kindern, die keiner mehr gebrauchen kann. Und eingefrorene Menschen gibt es, weil sie gar nicht mehr so viele begraben können, wie sterben.

Während ich so erzähle, entdecke ich Ungläubigkeit in ihren Augen. Diese naive Ungläubigkeit, die du hast, wenn du weißt, es stimmt, aber auch weißt, dass dir das nicht passieren kann. Und du kannst nicht verstehen, dass sie das mit sich machen lassen. Es ist noch nicht einmal zehn Jahre her und es ist schon eine Geschichte für sie geworden. Ich singe ein paar Lieder aus der alten Zeit, als ich noch draussen war: Der Blocher, der Rasenmäher, Hey Staat, Freiheit und all diese Sachen und denke an meine erste Geschichte. Ich weiss, dass das Leben nicht aus Zufällen besteht, so viele Zufälle gibt es nicht. Das Leben besteht aus Glück haben, und selbst wenn ich nichts weiss, dann weiss ich aber, dass man nur Glück hat, wenn man glücklich ist. Und was auch immer war in meinem Leben, so kann ich mich nicht daran erinnern, jemals nicht glücklich gewesen zu sein. Klar hatte ich meine Probleme, scheiss Kindheit, der Alkohol oder es ist mal eine Beziehung zerbrochen. Dann war ich auch unglücklich. Aber ich meine nicht diese Art von Unglücklichsein; ich meine das Unglücklichsein, wenn du weißt, dass du niemanden hast, das Gefühl dich braucht keiner und dass du völlig umsonst auf dieser Welt bist. Nein, das kenne ich nicht. Ich war immer glücklich, dass es mich gibt. Vielleicht weil ich kleiner Bub so gerne dazu gehört hätte, und sie mich nicht dazu gehören liessen. Und so wurde ich halt nicht einer von ihnen. Ich habe schon immer gern viel Zeit mit mir selbst verbracht, weil ich ja musste, Und ich habe auch immer gern mit mir geredet, weil ich ja sonst niemanden hatte zum Reden. Ich habe mir schon immer gern Geschichten erzählt und geträumt, aber ich anfing, sie laut zu erzählen, wurden sie war.
Ich wollte sie nicht provozieren durch mein Aussehen oder meine Sprache, ich habe auch nicht aus Trotz Gras geraucht, nein, ich war eben so und das konnten sie nicht ändern, und weil sie so damit beschäftigt waren, mich zu ändern, verloren sie den Blick fürs Wesentliche. Sie hören mir zu und wissen, es ist die Wahrheit, dass das Leben aus Glück haben besteht, und sie wissen auch, dass sie Glück gehabt haben. Wir haben grossen Spass gehabt in dieser Nacht und viel miteinander geredet, wir haben auch viel miteinander geweint in dieser Nacht, und ich habe viel geraucht…
Wir hatten einfach Glück.
Ich sah Berge so hoch wie Häuser, lauter tote Lebewesen. Andere Lebewesen wiederum haben sie bei lebendigem leib gebraten oder in kochendes Wasser geschmissen. Elektrosonden wurden in die Arschlöcher von Wieseln, Mardern und Iltissen gesteckt und ihre kleinen Körper haben sich zwanzig oder dreissig Sekunden lang aufgebäumt und gewehrt, bis sie den Kampf verloren hatten. Affen wurde bei lebendigem leib das Gehirn ausgelöffelt und Schildkröten der Panzer auseinander gerissen.
Sie fällten Bäume und wir pflanzten sie.
Sie beteten zu irgendeinem Gott hinauf und wunderten sich, dass sie keine Antwort bekamen, deshalb geben sie sich ihre Antwortenselbst. Ich erzählte von Gefängnissen für ihre Kinder und die, die sie nicht einsperren konnten, wurden Strassenkinder. Das ist noch nicht einmal zehn Jahre her und ist schon eine Geschichte geworden. Ich ging spät ins Bett in dieser Nacht und träumte, dass irgendwo ein kleine junge gestorben ist.
Ein kleiner Junge irgendwo da draussen und keiner merkte es.
Aber ich habe es geträumt.
Ich habe geträumt, dass er da stand, schwer beladen mit Ziegeln, und kleine Tränen liefen über sein staubiges Gesicht und Tropfen von Tränen baumelten an seinem Kinn.
Ich träumte, dass er nicht alt war, vielleicht fünf Jahre oder so. Er hatte rissige, schwielige und blutige kleine Hände, und mit denen schleppte er Ziegel. Kleine staubige, dreckige Füsse schleppten sich über den Boden und Steine drückten sich ins eitrige Fleisch.
Einen zusammengepressten Mund und grossen dunkle Augen sehe ich.
Irgendjemand schreit ihn an und er zuckt zusammen und schleppt sich weiter.
Sie haben gesagt, dass sie ihre Kinder lieben, und als sie sahen, dass sie schon zwei nicht satt bekamen, da machten sie noch weitere zwei.
Sie haben gesagt, dass sie ihre Kinder lieben und haben ihnen Waffen gegeben und in den Krieg geschickt.
Sie haben gesagt, dass sie ihre Kinder lieben, und als sie nicht mehr Heim kamen, weinten sie um ihre Kinder und suchten die Schuld bei den anderen.
Und schon wieder schauten sie hinauf zum Himmel und fragten ihren Gott: „Warum ich? Warum denn gerade ich?“
Und schon wieder gab er keine Antwort.
Er stand hinter ihnen mit seinen Ziegeln und weinte. Sie haben ihre Zukunft ausgelöscht und ihr Gott hat Ziegel getragen und sie beteten immer noch den schwarzen Pressack an.

2021 hatten wir unsere letzte Erdbestattung, danach haben wir unsere Toten wieder an der Luft bestattet. Wir hätten all die Wasserspeicher nicht anlegen können, wenn wir sie weiterhin eingegraben hätten. Und das Verbrennen erschien uns unangemessen. 300Meter hinter der Schule war ein schöner Sonnenaufgangsplatz und der wurde unser Friedhof. Wir legten die Toten entweder in einen kleinen Baum oder auf ein aus Holz gebautes Gerüst. Und nach der ersten Bestattung, die wir so gemacht hatten, waren wir erstaunt, wie schnell sich die Natur das zurück holt, was sie gegeben hatte. Trotzdem haben wir die neu Verstorbenen dann doch immer ein wenig weiter entfernt aufgebahrt, sonst hätten wir unseren Friedhof ja nicht begehen können, wegen dem Verwesungsgeruch. Wenn sie dann nach einer gewissen Zeit sauber abgenagt waren, haben wir sie hinüber auf den Hauptfriedhof gelegt, und die Gebeine, so wie sie waren, ohne sie durcheinander zu bringen, zu den Alten dazu gelegt. Das war immer etwas, was wir stets alle gemeinsam machten. Alle miteinander verabschiedeten wir uns von ihnen und erinnerten uns noch einmal, wer oder was er oder sie gewesen war, und jetzt wusste jeder wo sie lagen.

Das war auch die Zeit, in der wir das Letzte Mal was von der Regierung hörten. Aber das war nur noch ein kurzes Aufbäumen und danach war für immer Ruhe. Der Blocher drohte noch mal mit einem Armeeeinsatz. Aber darauf hin drohten die Reider und Dagmerseller, unsere direkten Nachbarn, damit, ihre Strassen auch zu sperren, wenn er uns nicht in Ruhe liesse. Und danach traute er sich eh nichts mehr. Wir wurden mittlerweile sehr bewundert von unseren Nachbarn und es waren immer Leute von Draussen bei uns in dieser Zeit. Und jeder durfte kommen und war willkommen. Wir behandelten jeden mit Höflichkeit. Aber sie kamen zu Fuss herein und mussten sich an unsere Regeln halten. Und die Oberste war: Respekt.
Einige blieben und einige gingen wieder, aber das hörte dann irgendwann auch mal auf. Und so kommt jetzt keiner mehr hinzu.
Nur im Herbst 2021 starteten wir noch eine letzte Aktion. Da nahmen wir 33 Afrikaner und Afrikanerinnen bei uns auf, die von der Abschiebung bedroht waren. Und wir gaben sie nicht mehr her. Sie versuchten es mit einer Nacht und Nebel Aktion, die aber erfolglos blieb. Wir waren auch darauf gut vorbereitet. Und schlussendlich hatten sie ja auch andere Probleme…
Unser Dorf wurde darauf hin richtig farbig, bunte Stoffe wurden gefärbt und gewebt und sie trugen lange Gewänder. Ja, es waren schöne Menschen in unserem Dorf, in dem ich leben und alt werden durfte, und unsere Kinder wurden braun und erdfarben.
Wie die ersten Menschen auf dieser Welt.
Ich arbeitete gern auf den Feldern mit ihnen und lernte ihre Lieder und ihre Rhythmen. Afrikaner sind wie alle Menschen, ausser sie sind hungrig, aber alle Menschen sind anders, wenn sie hungrig sind.
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  #10  
Alt 19.08.2008, 23:48
dirk66 dirk66 ist offline
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…Sie flogen hinaus in die Finsternis und als sie ganz, ganz weit draussen waren, sahen sie zum Fenster hinaus und waren sprachlos. Niemals zuvor hatte ein Mensch oder ein anderes Lebewesen das gesehen, was sie da jetzt grade sahen.
Sie waren die ersten und sie waren sprachlos. Sie sahen eine blaue Kugel im Universum schweben, und als sie ihre Sprache wieder fanden, sagten sie nur, dass sie Gott gehen haben.
Ja, stell dir vor, sie sagten, dass sie Gott gesehen haben. Zum ersten Mal schauten Menschen von dieser Welt zu ihren Gott hinunter und nicht hinauf.

So sauber
So rein
So schön und klar
So zerbrechlich und verletzbar
So allein und ungeschützt
Die Welt!

Ja, sie sahen die Welt und nannten sie Gott. Aber die Viehtransporte fuhren weiter, dort unten auf ihrem Gott. Und sie fuhren den Tod tausendfach durch die Gegend, und Stück für Stück haben sie ihn geschlachtet, ihren Gott. Und all die Pfaffen und Bischöfe und Päpste standen im Coop hinter den Wursttheken, die ihre Altäre waren, und die übrigen einfachen Leute, beteten den schwarzen Pressack an.
Ja, sie sahen Gott, als sie von dort oben herunter schauten. Und als sie wieder unten waren, schauten sie hinauf und sagten: „Danke lieber Gott“

Aber sie bekamen keine Antwort…


Mein Vater ist mit den Kindern im Garten und pflückt Himbeeren. Ich glaube er ist glücklich, ja ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er glücklich ist. Luki und die anderen Kinder sind gern beim Grossvater und es ist für sie immer etwas Besonderes. Vielleicht, weil wir so selten dort sind, obwohl wir doch gar nicht so weit auseinander wohnen. Aber wahrscheinlich macht es das grade zu etwas Besonderem wenn wir die Grosseltern besuchen. Der Opa werkelt mit ihnen und sägt Holz, sie spielen im Garten und Opa kriecht immer noch auf allen vieren mit ihnen im Garten herum. Das tun wir auch, aber beim Opa ist es was besonderes, weil es nicht immer ist. Alles, was nicht immer ist, ist etwas Besonderes.
Ich setze mich zu ihnen rüber auf die Couch. Und mein Kleiner setzt sich auf meinen Schoss. Er redet nicht viel, dass heisst, er redet schon gern, aber nur das was er kann. Und anscheinend denkt er, dass das schon ausreicht was er kann. Er hat ein paar Sätze drauf und mit denen kommt er überall ganz gut durch. Überhaupt hatte er eine eigene Sprache. Ich kann mich erinnern, als die zwei Nachbarsbuben das Sprechen anfingen. Da hatte das, was man ihnen vorsagte noch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, was sie nachsagten. Dann war das dann eben nicht die Schildkröte, sondern die Grodda, das kann man noch durchgehen lassen. Aber mein kleiner, der Luki, hatte seine eigenen Ausdrücke und manchmal habe ich ihn einfach überlistet und ihm einen neuen entlockt. Wie auch heute bei meinem Vater.
Ich habe ihn auf dem Schoss und sag zu allen sie sollen mal herkommen. Dass wir jetzt eine Sprachvorführung machen und dass Lukas alles nachsprechen kann, was ich ihm vorsage.
Alle waren ganz gespannt und Lukis Augen strahlten und ich habe nie zuvor so viel Stolz in seinem Gesicht gesehen, als ich zu ihm sagte, „Sag mal Opa“ und er dann laut und deutlich Opa, Opa Opa sagte.
Da klatschten und tobten wir alle, bravo bravo schrieen wir, der Wahnsinn. Meine Schwester, meine Mutter, meine Frau und die anderen Kinder, alle klatschten und lobten ihn.
Aber das war nicht schwer, weil er Opa schon längst sagen konnte und danach Oma und Mama und Papi, aber jedes mal klatschten und schrieen wir vor Begeisterung. Und jedes Mal ist er ein Stück gewachsen.
Aber den Namen vom Sohn meiner Schwester konnte er nicht sagen und als ich dann plötzlich, nachdem er so viel gewusst hatte, sagte „Und jetzt sag mal Robert“… Da konnte er nichts anderes sagen als „Wewa“.
Und wir alle klatschten und schrieen und sprangen herum vor Freude. Wewa, Weeewaa! Und Robert fragte: „Was ist denn?“
Wewa, wewa – aber es war Krieg, und keiner sah, dass ich da sitze mit meinem Gott auf dem Schoss und lache.


Ein dumpfer Schlag durchströmt sein Gehirn und alle Schmerzen sind wie weg geblasen. Der Metzger legt den Schussapparat auf Seite und schneidet ihm die Halsschlagader auf. Er ist noch nicht tot und das Blut wird herausgepumpt von einem gesunden Herzen, das noch nicht weiss, dass seine Zeit abgelaufen ist. Er kann noch sehen, und während ihm die eigenen Gedärme ins Gesicht rutschen, weil er an Ketten an den Hinterläufen hochgezogen wird, ziehen sie ihm schon das Fell ab.
Er kann noch sehen, aber er spürt nichts mehr.
Oh Gott ich hoffe er spürt nichts mehr.
Ich habe Angst, dass mein Denken aussetzt, wenn ich glauben würde, das er noch was spürt. Ich habe Angst, dass ich dann nicht mehr schlafen könnte und nicht mehr mit euch lachen. Ich wollte doch nur eine Geschichte erzählen, aber ich habe keinen Traum dazu gehabt.

Aber es war Krieg und sie haben sich dafür entschieden in Zorn und Krankheit von dieser Welt zu gehen. Sie haben es nicht in den griff gekriegt und ich schau hinauf zum Himmel und sehe die weissen Streifen länger und breiter werden. Ich ziehe meine neuen Schuhe aus und rieche an ihnen. Mein Sohn hat sie gemacht, ja, mein Sohn ist Schuster geworden. Jetzt sitze ich hier unter seiner Birke und er sitzt bei mir und freut sich, dass die Schuhe so gut passen. Ich rauche einen Joint, dass habe ich mir bis zuletzt nicht abgewöhnen können, und ich bin der Geschichtenerzähler geworden und auch der Einzige, der von Zeit zu Zeit das Dorf noch verlässt. Wenn ich draussen bin, halte ich mich an all ihre Regeln und werde überall respektvoll behandelt. Ich bin Geschichtenerzähler und Träumeverbreiter, und auch wenn überall um mich herum Krieg ist, sie wissen, dass sie mich brauchen, weil der Mensch Geschichten und Träume braucht zum Überleben. Sie freuen sich, wenn ich komme und manchmal sitze ich vor achthundert Leuten und erzähle aus unserem Dorf. Und wie kleine Kinder sitzen sie da mit grossen Augen und schütteln ungläubig den Kopf und sagen: „Das gibt es nicht“!

Ohne Geld, ohne Kaffee, ohne Fernseher und Mastercard, nein, sagen sie, dass gibt es nicht. Aber sie fangen an zu träumen und leben mit mir für zwei Stunden meinen Traum und alle kommen sie in meinen Geschichten vor. Ich schau mir ihre Gesichter an beim Vorbeigehen und sehe ihre Verletzungen, Misshandlungen und Gewalttaten, die sie ihnen angetan haben, damit sie anständige Menschen werden. Wann haben sie endlich den Mut, nein zu sagen, wann glauben sie endlich, dass es nur mit Respekt geht?
Ich erzähle ihnen, dass bei uns im Dorf alles alt werden darf und nie an Wert verliert. Ich erzähle ihnen, dass unsere Kühe frei herum laufen und jeden Abend freiwillig heim kommen, uns ihre Milch bringen und bei uns schlafen. Sie werden nicht mehr geschlachtet, sonder sie sterben für uns. Sie werden nicht mehr gezüchtet sonder vermehren sich für uns.
Erst wenn sie ihren Sonnenuntergang gesehen haben, war es freiwillig und es bleibt nichts von ihnen übrig. Wir haben eine eigene Käserei und machen unsere Butter und unser Brot selber. Wir müssen nichts mehr kaufen und wenn jemand krank wird, muss er nicht in ein Wartezimmer hocken, nein, der Doktor kommt zu ihm. Der Doktor wird vom ganzen Dorf versorgt und muss sich um überhaupt nichts kümmern. Ich erzähle ihnen, dass wir aufeinander aufpassen und wenn ich wieder heim komme, Ende November, dann ist mein Holz schon gemacht und meine Speisekammer voll. Ich erzähle ihnen, dass ich Geschichtenerzähler bin und in unserem Dorf genau so wichtig wie der Bäcker oder Schreiner. Aber sie sagen, dass gibt es nicht und träumen schon davon.

Ich rieche an meine neuen Schuhe und rieche meinen Sohn und ich rieche zurück in die Vergangenheit und erinnere mich an die Sauberkeit, die ich gerochen habe, wenn er sich an mich gekuschelt hat im Bett und seine Hand auf mein Ohr gelegt hat. Ich höre sein Atmen und kann ihn riechen, und er steckt seine kalten Füsse zu mir unter die Decke und sagt, gute Nacht. Ich rieche fünfundzwanzig Jahre zurück und schaue hinüber zu ihm. Er riecht immer noch so gut, er ist immer noch mein kleiner Bub, und als würde er wissen was ich gerade denke, schaut er mich an und sagt, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen, und ich weiss, dass ich fertig geworden bin und nicht noch einmal auf die Welt kommen muss.

Im Jahre 2016 haben sie die letzten Polizeikräfte abgezogen. Und es ist Ruhe eingekehrt. Da gab es schon keine Strassen mehr und wir hatten unsere eigene Kläranlage. Unser Dorf ist richtig aufgeblüht, und Bachläufe, und kleine Seen entstanden dort wo wir sie brauchten. Unsere Alten liessen wir im Dorf, und steckten sie nicht in Alterheime, wie es damals üblich war. Wir haben ja eh geschnallt, dass Heime keine Lösung sind. Egal ob Altersheime, Pflegeheime, Sterbeheime oder Heime für schwer erziehbare Kinder. Auch Menschen mit dem Down-Syndrom wurden nicht in Heime gesteckt und sie waren stolz, stolz, die Dorfdeppen zu sein. Denn Menschen brauchen Dorfdeppen, genau so wie Geschichten. Und Dorfdeppen brauchen Menschen, Menschen, die auf sie aufpassen. Sie hatten ihre eigenen Häuser und wurden von uns mit versorgt. Sie wurden von ihren Enkelkindern auf dem Weg zur Schule versorgt und besucht. Und wenn sie keine Enkel hatten, dann wurden sie einfach von den anderen Kindern besucht. Sie hatten ja schliesslich was zum erzählen… Jeder hatte eine Oma und einen Opa. Eine Mutter und einen Vater, jeder hatte einen Bruder und eine Schwester. Mit der Zeit, wurden wir eine grosse Familie und haben auch, wie eine Familie miteinander, gelebt.

Irgendeiner kam zum Frühstück oder Mittagessen, und nie fühlte man sich beobachtet oder fremd. Wir wurden eine Einheit und jeder war gleich wichtig. Es gab einfach Leute, die gerne lange schliefen, und andere standen einfach gern früh auf. Es war egal, ob jemand bis um elf Uhr in den Federn lag, und der andere schon um vier Uhr am Morgen aktiv war. Aber jeder hat zu seiner Zeit was getan und es ging voran. Eigentlich wurde bei uns Tag und Nacht gearbeitet und lustigerweise auch Tag und Nacht gefaulenzt und geschlafen. Aber im Grunde waren wir alle genauso fleissig, wie es sein musste um uns in den Griff zu bekommen. Wir haben alle gearbeitet. Du weißt ja, der Mensch arbeitet im Grunde gerne, aber nur wenn er mag, und nicht wenn er muss. Eines Tages bin ich aufgestanden und alle Zäune im Dorf waren verschwunden. Ich hätte es wahrscheinlich gar nicht gemerkt, wenn ich keinen Hund gehabt hätte. Aber alle Zäune waren weg.

Ein anders Mal standen fünfunddreissig Leute in meinem Garten am Morgen in der Früh. Und du glaubst es nicht, sie hatten mir einen Bach quer durch das Grundstück angelegt. Sie wussten natürlich, dass ich mir immer einen Bach gewünscht habe vor dem Haus, in dem Forellen lustige Achten schwimmen. Und ich dachte in dem Moment, wo ich gecheckt habe, was die da gemacht haben, das ist ja der Wahnsinn. Und ich freute mich wie selten im Leben…

Diese Nacht muss der Wahnsinn gewesen sein. Sie deckten die Wiese mit Balken und Brettern ab, damit sie nicht zertrampelt wird (ja, wir passten sogar auf das Grass auf) und was die einen ausgeschaufelt haben, fuhren die anderen sofort weg, und die nächsten brachten Steine. Und so ist in dieser Nacht ein kleiner steiniger Bach mit zwei Staustufen entstanden. Als ich am Morgen heraus kam, waren sie grad dabei die Latten und Bretter weg zu tragen. Und auf der Wiese war kein Grasshalm zertreten und kein Dreck zu sehen. Sie hatten einen Bach hingezaubert, wo gestern noch keiner war. Und es hat so ausgesehen, als ob der Bach schon immer da gewesen ist. Das Wasser haben sie vom Hauptbach herüber geleitet, da, wo früher die Hauptstrasse war…
Wahnsinn, habe ich mich gefreut und als dann der Dustin am Nachmittag drauf, von der Arbeit kam (Dustin war unser Bachpfleger und kannte sich irrsinnig gut mit Fischen aus) ein paar Forellen mit brachte und sie aussetzte, musste ich einfach vor Freude weinen, vor all die Leute und ohne Scham, und mit Stolz, und ich bedankte mich bei ihnen. An dem Tag war ich an der Reihe mit kochen, und ich konnte gut kochen. Im Laufe der Jahre haben wir gelernt, anderen eine Freude zu machen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Das war echt Arbeit, das wieder zu lernen. Aber auch das ist uns gelungen und hat uns weiter gebracht. Wir waren ja schliesslich vorbereitet…
Und an dem Tag holte ich seit langer Zeit mal wieder meine Gitarre hervor und erzählte ihnen ein paar Geschichten.
Denn auch hier bei uns war ich jetzt der Geschichtenerzähler. Ich war der einzige, der noch nach draussen ging.
Ein grosses Feuer brannte in dieser Nacht und wir assen und tranken miteinander. Wir assen aber nur, was wir selber gepflanzt und geerntet hatten. Es war nichts Gekauftes auf unseren Tischen. Alles, was da war, war freiwillig da. Da war Brot und Butter, Honig und Marmelade, Käse, Obst, Gemüse, Wein und Bier, Nüsse, und auch Fleisch gab es, obwohl niemand mehr geschlachtet wurde; wir mussten auf nichts verzichten, und niemand vermisste auch nur irgendetwas. Bis spät in der Nacht tobten unsere Kinder draussen herum und wir vertrauten dem Mond und wussten, dass Universum gibt auf uns acht. Ich bin noch nicht so lange wieder daheim und erzählte ihnen wie es draussen aussieht. Und ich musste nicht mal übertreiben, sondern habe versucht sie zu schonen.
Ich habe ihnen erzählt, wie es draussen aussieht und es lief ihnen eiskalt den Rücken herunter. Nein, haben sie gesagt! Das kann nicht sein und sie schauten mich mit grossen Augen an….

Vögel, erzählte ich ihnen, habe ich gesehen mit drei Flügel und Katzen, denen Federn gewachsen sind. Fische mit zwei Köpfen schwimmen in ihren Flüssen herum, und sie fressen die verkrebste Leber von ihren Gänsen. Kein Mensch kann mehr schwimmen, weil sie es nicht mehr lernen können. Wo sollten sie es denn noch lernen? Ihre Seen sind Schlammlöcher und in ihren Flüssen scheint Tag und Nacht der Regenbogen. Häuser gibt es, so gross wie eine Kiesgrube, voll mit Kindern, die keiner mehr gebrauchen kann. Und eingefrorene Menschen gibt es, weil sie gar nicht mehr so viele begraben können, wie sterben.

Während ich so erzähle, entdecke ich Ungläubigkeit in ihren Augen. Diese naive Ungläubigkeit, die du hast, wenn du weißt, es stimmt, aber auch weißt, dass dir das nicht passieren kann. Und du kannst nicht verstehen, dass sie das mit sich machen lassen. Es ist noch nicht einmal zehn Jahre her und es ist schon eine Geschichte für sie geworden. Ich singe ein paar Lieder aus der alten Zeit, als ich noch draussen war: Der Blocher, der Rasenmäher, Hey Staat, Freiheit und all diese Sachen und denke an meine erste Geschichte. Ich weiss, dass das Leben nicht aus Zufällen besteht, so viele Zufälle gibt es nicht. Das Leben besteht aus Glück haben, und selbst wenn ich nichts weiss, dann weiss ich aber, dass man nur Glück hat, wenn man glücklich ist. Und was auch immer war in meinem Leben, so kann ich mich nicht daran erinnern, jemals nicht glücklich gewesen zu sein. Klar hatte ich meine Probleme, scheiss Kindheit, der Alkohol oder es ist mal eine Beziehung zerbrochen. Dann war ich auch unglücklich. Aber ich meine nicht diese Art von Unglücklichsein; ich meine das Unglücklichsein, wenn du weißt, dass du niemanden hast, das Gefühl dich braucht keiner und dass du völlig umsonst auf dieser Welt bist. Nein, das kenne ich nicht. Ich war immer glücklich, dass es mich gibt. Vielleicht weil ich kleiner Bub so gerne dazu gehört hätte, und sie mich nicht dazu gehören liessen. Und so wurde ich halt nicht einer von ihnen. Ich habe schon immer gern viel Zeit mit mir selbst verbracht, weil ich ja musste, Und ich habe auch immer gern mit mir geredet, weil ich ja sonst niemanden hatte zum Reden. Ich habe mir schon immer gern Geschichten erzählt und geträumt, aber ich anfing, sie laut zu erzählen, wurden sie war.
Ich wollte sie nicht provozieren durch mein Aussehen oder meine Sprache, ich habe auch nicht aus Trotz Gras geraucht, nein, ich war eben so und das konnten sie nicht ändern, und weil sie so damit beschäftigt waren, mich zu ändern, verloren sie den Blick fürs Wesentliche. Sie hören mir zu und wissen, es ist die Wahrheit, dass das Leben aus Glück haben besteht, und sie wissen auch, dass sie Glück gehabt haben. Wir haben grossen Spass gehabt in dieser Nacht und viel miteinander geredet, wir haben auch viel miteinander geweint in dieser Nacht, und ich habe viel geraucht…
Wir hatten einfach Glück.
Ich sah Berge so hoch wie Häuser, lauter tote Lebewesen. Andere Lebewesen wiederum haben sie bei lebendigem leib gebraten oder in kochendes Wasser geschmissen. Elektrosonden wurden in die Arschlöcher von Wieseln, Mardern und Iltissen gesteckt und ihre kleinen Körper haben sich zwanzig oder dreissig Sekunden lang aufgebäumt und gewehrt, bis sie den Kampf verloren hatten. Affen wurde bei lebendigem leib das Gehirn ausgelöffelt und Schildkröten der Panzer auseinander gerissen.
Sie fällten Bäume und wir pflanzten sie.
Sie beteten zu irgendeinem Gott hinauf und wunderten sich, dass sie keine Antwort bekamen, deshalb geben sie sich ihre Antwortenselbst. Ich erzählte von Gefängnissen für ihre Kinder und die, die sie nicht einsperren konnten, wurden Strassenkinder. Das ist noch nicht einmal zehn Jahre her und ist schon eine Geschichte geworden. Ich ging spät ins Bett in dieser Nacht und träumte, dass irgendwo ein kleine junge gestorben ist.
Ein kleiner Junge irgendwo da draussen und keiner merkte es.
Aber ich habe es geträumt.
Ich habe geträumt, dass er da stand, schwer beladen mit Ziegeln, und kleine Tränen liefen über sein staubiges Gesicht und Tropfen von Tränen baumelten an seinem Kinn.
Ich träumte, dass er nicht alt war, vielleicht fünf Jahre oder so. Er hatte rissige, schwielige und blutige kleine Hände, und mit denen schleppte er Ziegel. Kleine staubige, dreckige Füsse schleppten sich über den Boden und Steine drückten sich ins eitrige Fleisch.
Einen zusammengepressten Mund und grossen dunkle Augen sehe ich.
Irgendjemand schreit ihn an und er zuckt zusammen und schleppt sich weiter.
Sie haben gesagt, dass sie ihre Kinder lieben, und als sie sahen, dass sie schon zwei nicht satt bekamen, da machten sie noch weitere zwei.
Sie haben gesagt, dass sie ihre Kinder lieben und haben ihnen Waffen gegeben und in den Krieg geschickt.
Sie haben gesagt, dass sie ihre Kinder lieben, und als sie nicht mehr Heim kamen, weinten sie um ihre Kinder und suchten die Schuld bei den anderen.
Und schon wieder schauten sie hinauf zum Himmel und fragten ihren Gott: „Warum ich? Warum denn gerade ich?“
Und schon wieder gab er keine Antwort.
Er stand hinter ihnen mit seinen Ziegeln und weinte. Sie haben ihre Zukunft ausgelöscht und ihr Gott hat Ziegel getragen und sie beteten immer noch den schwarzen Pressack an.

2021 hatten wir unsere letzte Erdbestattung, danach haben wir unsere Toten wieder an der Luft bestattet. Wir hätten all die Wasserspeicher nicht anlegen können, wenn wir sie weiterhin eingegraben hätten. Und das Verbrennen erschien uns unangemessen. 300Meter hinter der Schule war ein schöner Sonnenaufgangsplatz und der wurde unser Friedhof. Wir legten die Toten entweder in einen kleinen Baum oder auf ein aus Holz gebautes Gerüst. Und nach der ersten Bestattung, die wir so gemacht hatten, waren wir erstaunt, wie schnell sich die Natur das zurück holt, was sie gegeben hatte. Trotzdem haben wir die neu Verstorbenen dann doch immer ein wenig weiter entfernt aufgebahrt, sonst hätten wir unseren Friedhof ja nicht begehen können, wegen dem Verwesungsgeruch. Wenn sie dann nach einer gewissen Zeit sauber abgenagt waren, haben wir sie hinüber auf den Hauptfriedhof gelegt, und die Gebeine, so wie sie waren, ohne sie durcheinander zu bringen, zu den Alten dazu gelegt. Das war immer etwas, was wir stets alle gemeinsam machten. Alle miteinander verabschiedeten wir uns von ihnen und erinnerten uns noch einmal, wer oder was er oder sie gewesen war, und jetzt wusste jeder wo sie lagen.

Das war auch die Zeit, in der wir das Letzte Mal was von der Regierung hörten. Aber das war nur noch ein kurzes Aufbäumen und danach war für immer Ruhe. Der Blocher drohte noch mal mit einem Armeeeinsatz. Aber darauf hin drohten die Reider und Dagmerseller, unsere direkten Nachbarn, damit, ihre Strassen auch zu sperren, wenn er uns nicht in Ruhe liesse. Und danach traute er sich eh nichts mehr. Wir wurden mittlerweile sehr bewundert von unseren Nachbarn und es waren immer Leute von Draussen bei uns in dieser Zeit. Und jeder durfte kommen und war willkommen. Wir behandelten jeden mit Höflichkeit. Aber sie kamen zu Fuss herein und mussten sich an unsere Regeln halten. Und die Oberste war: Respekt.
Einige blieben und einige gingen wieder, aber das hörte dann irgendwann auch mal auf. Und so kommt jetzt keiner mehr hinzu.
Nur im Herbst 2021 starteten wir noch eine letzte Aktion. Da nahmen wir 33 Afrikaner und Afrikanerinnen bei uns auf, die von der Abschiebung bedroht waren. Und wir gaben sie nicht mehr her. Sie versuchten es mit einer Nacht und Nebel Aktion, die aber erfolglos blieb. Wir waren auch darauf gut vorbereitet. Und schlussendlich hatten sie ja auch andere Probleme…
Unser Dorf wurde darauf hin richtig farbig, bunte Stoffe wurden gefärbt und gewebt und sie trugen lange Gewänder. Ja, es waren schöne Menschen in unserem Dorf, in dem ich leben und alt werden durfte, und unsere Kinder wurden braun und erdfarben.
Wie die ersten Menschen auf dieser Welt.
Ich arbeitete gern auf den Feldern mit ihnen und lernte ihre Lieder und ihre Rhythmen. Afrikaner sind wie alle Menschen, ausser sie sind hungrig, aber alle Menschen sind anders, wenn sie hungrig sind.
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