Der Staat will beim Bürger mitsurfen
Was Hacker können, soll auch der Schweizer Geheimdienst dürfen: Auf einem Computer einen Trojaner installieren und den Rechner ausspionieren. Doch die neuen Überwachungsmöglichkeiten dürften es im Nationalrat schwer haben.
Der Staat liest mit: Online-Durchsuchungen sollen in der Schweiz möglich werden. Informationen zum BWIS II im ParlamentDer Staat schaut im Schlafzimmer zu, hört im Büro mit, liest private E-Mails auf dem Computer und kann Spitzel mit falschen Identitäten auf Verdächtige ansetzen. Was Spionage-Filme schon lange zeigen, will der Bundesrat auch dem Inlandgeheimdienst in der Schweiz ermöglichen. Grund für das Umdenken sind die Terroranschläge vom 11. September 2001. Deshalb soll der zivile Nachrichtendienst erstmals seit dem Fichenskandal Ende der Achtzigerjahre wieder präventiv überwachen können. Am Mittwoch berät nun der Nationalrat über die Gesetzesänderung, die auf den Namen BWIS II hört: Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit.
Starker Eingriff in Privatsphäre
Die Gegner haben klare Worte für die Idee des Bundesrats: «Das Gesetz bringt den grossen Lauschangriff», sagt der Grüne Nationalrat Daniel Vischer (ZH). Er lehnt es deshalb ab. «Die Vorlage braucht es gar nicht», sagt er. Der Eingriff in die Privatsphäre sei zu stark. Denn die besonderen Mittel der Informationsbeschaffung dürfen nicht erst bei einem Strafverfahren eingesetzt werden, sondern bereits um — wie es der Bundesrat sagt — eine konkrete Gefahr der inneren und äusseren Sicherheit des Landes abzuwenden. Die Daten dürften zudem auch an ausländische Geheimdienste weitergegeben werden.
Doch Zustände wie vor der Fichenaffäre soll es nicht geben, denn die besonderen Mittel wie die Bild- und Tonüberwachung in Privaträumen sollen nur bei Gefahr durch Terrorismus, Spionage oder Proliferation erlaubt sein. «Die Überwachung vom linksextremen Schwarzen Block oder von Rechtsextremen wäre nicht möglich», sagt Jürg Bühler, Stellvertretender Leiter des Inlandgeheimdienstes DAP. Es handle sich dabei um gewalttätiger Extremismus, nicht um Terrorismus. Anders sieht es bei der kurdischen PKK aus, die für Brandanschläge auf türkische Einrichtungen Ende Oktober verantwortlich gemacht wird (20 Minuten Online berichtete): «Eine Überwachung wäre in diesem Fall denkbar gewesen, da die Strafverfolgung zu lange dauert», sagt Bühler. Zudem müssten das Bundesstrafgericht sowie der zuständige Bundesrat die Massnahmen bewilligen.
Rechtsstreit in Deutschland wegen Online-Durchsuchung
In Deutschland sorgt die Online-Durchsuchung von Computern, wie sie im BWIS II vorgesehen ist, seit Jahren für heftige Diskussionen. Im vergangenen Februar urteilte sogar das Bundesverfassungsgericht, dass diese Art der Informationsbeschaffung nur unter strengen Auflagen erlaubt sei (20 Minuten Online berichtete). In der Schweiz hingegen sorgt die geplante Gesetzesänderung bisher kaum für Aufsehen in der Öffentlichkeit. Im Nationalrat hat sich trotzdem Widerstand formiert: Linke und die SVP vereinigen sich zu einer gemeinsamen Front gegen neue Überwachungsmöglichkeiten und haben so gute Chancen, den Gesetzesentwurf an den Bundesrat zurückzuweisen.
Der St. Galler Nationalrat Lukas Reimann, der für die SVP das Geschäft in der vorberatenden Kommission betreute, hat zwar nichts gegen Terrorbekämpfung. «Aber es geht um die Frage, ob die persönliche Freiheit oder die Sicherheit höher zu gewichten ist.» Und an mehr Sicherheit, die das BWIS II bringen soll, glaubt er nicht: «In der Kommission konnte keiner der eingeladenen Experten sagen, wo das Gesetz mehr Sicherheit bringen würde.»
«Massnahmen den Opfern schuldig»
Zu einem anderen Schluss bei der Interessensabwägung kommt die FDP: «Warum sollte es in der Schweiz nicht auch zu einem Terroranschlag kommen?», fragt der Solothurner Nationalrat Kurt Fluri rhetorisch. Er glaubt, dass die Schweiz Terroristen anzieht, wenn sie nicht mit den gleichen Überwachungsmitteln kämpft wie das europäische Ausland. «Diese Überwachungsmassnahmen sind wir den Opfern von Terroranschlägen schuldig.» Fluri ist sich bewusst, dass es um Eingriffe in die Grundrechte geht, glaubt aber an die schweizerischen Gerichte: «Es wird immer wieder Beschwerden ans Bundesgericht geben», sagt er. Dadurch werde sich eine Praxis entwickeln.
Die Allianz von Grünen, SP und SVP hat mit ihrer Mehrheit im Nationalrat gute Chancen, den Gesetzesentwurf an den Bundesrat zurückzuweisen. Der soll mehrere Punkte konkretisieren und die Kontrolle verbessern. Für FDP-Nationalrat Fluri wäre das nicht so schlimm: «Die Arbeit würde sich einfach um einige Monate verzögern.»
Quelle:
http://www.20min.ch/news/schweiz/story/24422403