Und als Kontrastprogramm:
Bodenreform-Affäre
Schwere Vorwürfe gegen Staatsanwälte
Die Ermittler sehen bei den Enteignungen keinen Vorsatz. Die Betroffenen
wollen nun Beschwerde einlegen.
Von Ralf Schönball
Potsdam - Scharfe Kritik folgte gestern auf die Entscheidung der Potsdamer Staatsanwaltschaft,
in der Brandenburger Boden-Affäre keine strafrechtlichen Ermittlungen führen zu wollen.
Die „Arbeitsgemeinschaft Recht und Eigentum“ (Are) kündigte an, Beschwerde bei der
Generalstaatsanwaltschaft einzulegen. Die Vertreter enteigneter Erben von Bodenreformflächen
hatten die Anzeige erstattet, die zu Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft geführt hatte. Der
frühere Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Neskovic, sagte, die Entscheidung
sei „juristisch nicht nachvollziehbar“.
Diese Einschätzung teilen wegen des klaren Urteils des Bundesgerichtshofs viele Experten: Nach
einem Protokoll der mündlichen Verhandlung am BGH, das dem Tagesspiegel vorliegt, hatte
dieser das Vorgehen der Landesregierung am Beispiel „einer vorsätzlichen, veruntreuenden
Unterschlagung“ ausgeführt – eines strafrechtlichen Vorwurfs also.
Neskovic, der heute für die Linke im Bundestag sitzt, wies darauf hin, dass gegen die
Entscheidung gegebenenfalls ein „Klageerzwingungsverfahren“ vor dem Oberlandesgericht
durchgeführt werden könnte. „Strafrechtliche Ermittlungen wären zwingend erforderlich
gewesen“, sagt er. Pflichtwidrigeres Verhalten als das vom BGH festgestellte „sittenwidrige“
Handeln des Landes sei nicht vorstellbar. Auch der Vorsatz der Beteiligten sei offensichtlich:
Die Grundstücke sollten in Landeseigentum übergehen, ohne dass zuvor die Zuteilungsfähigkeit
festgestellt wurde. Der Verlust des Eigentums sei ein „objektiver Vermögensnachteil“ für betroffene Erben. „
Daran kann nach dem BGH-Urteil nicht ernsthaft gezweifelt werden“, sagte Neskovic.
Den Staatsanwälten droht eine Anzeige wegen „Strafvereitelung im Amt“. Diese will
Thorsten Purps „ernsthaft prüfen“. Der Rechtsanwalt, der die Anzeige für die Are erstattet
hatte, sieht sich von den Ermittlern düpiert: Die Akteneinsicht, die diese ihm versprochen
hätten, sei herausgezögert worden bis nach der Einstellung. „Höchst ungewöhnlich“,
findet Purps. „Ein solcher Schritt wird den Anzeigeerstattern meistens vorher angekündigt.“
Purps betonte aber, dass die Einstellung nur einen einzelnen Fall betreffe. Weitere Fälle könnten folgen.
Den Experten zufolge umschiffen die Ermittler in ihrer Begründung zur Nicht- aufnahme von
Ermittlungen den zentralen Vorwurf: Die Landesregierung führte als „gesetzlicher Vertreter“
enteigneter Erben deren Nachteil durch die Landnahme vorsätzlich herbei.
„Rückschlag für den Rechtsstaat und Rückfall hinter das BGH-Urteil“, nennt Ulrich Mohr
das Ende der Vorermittlungen. Er hatte das BGH-Urteil erstritten. Die „weisungsgebundenen
Beamten von Justizministerin Beate Blechinger (CDU)“ unterschätzten Kompetenz und
Verantwortung der Gerichtsbarkeit.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 12.03.200