Oaxaca: Der Kampf geht weiter
von Libert@d - 25.08.2006 00:08
In Oaxaca hat sich der Kampf, der als Protest streikender Lehrer begann, zu einer wahren Volksbewegung ausgeweitet, die nicht nur den Ruecktritt des Governeurs Ulises Ruiz fordert, sondern auch ueber eine neue Verfassung diskutiert. Trotz der brutalen Repression, mit der die Bewegung sich konfrontiert sieht, nimmt sie keineswegs ab, im Gegenteil.
Oaxaca: Der Kampf geht weiter
Sechs Wochen nach der brutalen Räumung des Plantons (Blockadecamp) der streikenden Lehrer in Oaxaca, bei dem mehrere Menschen, darunter auch Kinder, schwer verletzt wurden, ist es bei indymedia wie auch bei kommerziellen Medien still um den Konflikt geworden. Dabei hat sich dieser keineswegs erledigt, ganz im Gegenteil: Was die Repression der Regierung Ulises Ruiz erreicht hat, war eine Solidaritätswelle der Bevölkerung und eine immense Ausweitung der Bewegung, die sich in einem einig ist: Ulises muss gehen!!!
Kurze Zeit nach der Räumung sah Oaxaca Demos mit mehreren hundertausend Teilnehmern - die grösste Demo zählte 800.000 - (das entspricht knapp einem Viertel der Einwohnerzahl des Bundesstaates Oaxaca) die seinen Rücktritt forderten. Seitdem vergeht kaum ein Tag ohne Demos oder andere Protestaktionen, in der ganzen Stadt gibt es Plantones, in denen Mitglieder der Bewegung Tag und Nacht präsent sind, die ganze Innenstadt ist verbarrikadiert und blockiert, ebenso wie einige Zufahrtsstraßen, und wichtige Einrichtungen und Gebäude des Staates - Präsidentenpalast, Parlament und Oberstes Gericht - und der Stadt sind besetzt. Das wichtigste aber ist, dass es sich längst nicht mehr um eine Bewegung des Magistrats der Lehrer handelt, sondern des Volkes, das alle Sektoren der Gesellschaft einschließt. All diese sind in der APPO (Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca - Volksversammlung des Volks von Oaxaca) organisiert.
Die APPO ist Organisation, Bündnis und Versammlung zugleich, in der sich Delegierte der über 300 Organisationen, die die APPO bilden, täglich treffen, um aktuelle Fragen zu diskutieren, Sachen zu organisieren und Entscheidungen zu treffen. Natürlich ist es nicht leicht, in einem Bündnis, das neben der Lehrergewerkschaft nicht nur Organisationen und Gruppen von Arbeitern verschiedener Bereiche, Studenten und Professoren, Indigene, Frauen, Jugendliche, kirchliche Basisgemeinden, Ärzte und Gesundheitsarbeiter, Nachbarschaftsorganisationen und alle möglichen andere Sektoren umfasst, sondern auch ideologisch höchst unterschiedlich ist und von den verschiedensten marxistischen Strömungen zu libertären, aber auch reformistischen Ideen reicht, zu gemeinsamen Positionen zu kommen. Um so erstaunlicher, dass die Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung bisher ohne größere Streits und Spaltungen zu funktionieren scheint. Und das konstant über Monate: Der Kampf geht mittlerweile über drei Monate, und obwohl alle erschöpft sind, ist von Müdigkeit und Resignation keine Spur und alle sind sich einig, weiter zu machen, bis Ulises zurück tritt.
Das ist allerdings auch erst mal der einzige gemeinsame Nenner der Bewegung. Aber das es damit nicht getan ist, dass viel tiefgreifendere Veränderungen nötig sind, ist auch eigentlich allen klar, zumindest den Mitgliedern der APPO. Deshalb gibt es Diskussionen über eine neue Verfassung, die umfassende Reformen bedeuten würde. Doch so wichtig diese Debatten über die Zukunft der Bewegung sind, ist es schwierig, konstant Mobilisierungen aufrecht zu erhalten und sich gleichzeitig diesen Fragen zu widmen. Vor allem angesichts der Repression, mit der sie sich ständig konfrontiert sieht und die gerade jetzt wieder besonders brutale Züge annimmt: Am 9. August wurde auf einer Demo ein Demonstrant erschossen; in der Nacht vom 20. auf den 21. August wurde bei dem Versuch der Räumung eines Plantons eine weitere Person erschossen, ein Architekt, der als Sympathisant bei der Bewachung des Platons helfen wollte. Es handelte sich dabei um ein Planton bei einem besetzten Radio.
Die Vorgeschichte: Vor zwei Wochen wurde der lokale Fernsehsender Kanal 9 (eine staatliche regionale Station, die im gesamten Staat Oaxaca sendet, vergleichbar mit den Dritten in Deutschland), der ständig gegen die Bewegung gehetzt hatte, im Anschluss an eine Frauendemo kurzerhand besetzt. Ihre "Waffen", mit denen sie das erreichten: Cazerolas, große Kochtöpfe. Angesichts von tausendfacher Frauenpower kapitulierten die Angestellten des Senders ohne Kampf und damit hatte die Bewegung plötzlich einen eigenen Fernsehsender!! Mit der Hilfe von einigen Kommunikationsprofessoren und -studenten gelang es ihnen schnell, diesen in Betrieb zu nehmen und zu senden, ebenso wie das dazugehörige Radio. Und nicht nur das, innerhalb von zwei Wochen kletterte der vorher uninte
Viel länger dauerte die Existenz des Kanal 9 als Volkssender aber leider auch nicht: Wenn auch die Polizei angesichts der Stärke der Bewegung nicht mal den Versuch einer Räumung unternahm, gelang es ihnen mit einer unglaublichen Brutalität doch, den Schwachpunkt des Senders, die Antennen und Sendeanlagen, die sich auf einem Berg in der Nähe der Station befanden, zu attackieren und zu zerstören: In der Nacht vom 19. auf den 20 August griffen maskierte Männer, bewaffnet mit Maschinengewehren die Wachen an, wobei mehrere Menschen von Kugeln getroffen und zum Teil schwer verletzt wurde. Danach zerschossen sie buchstäblich die Sendeanlagen. Bis heute sind drei Leute der Bewegung verschwunden.
Doch die Antwort der Bewegung war ebenso schnell wie erfolgreich: Noch in der selben Nacht besetzten sie 12(!!!) Radiostationen, womit sämtliche Radios der Stadt in den Händen der Bewegung sind und sie sogar über ganz Mittelamerika senden können. Und wieder erfolgte die Übernahme in Volkseigentum ohne Gewalt und Zerstörung. Doch die Antwort der Regierung ließ nicht lange auf sich warten und bestand in besagtem Versuch der Räumung mit Maschinengewehren, bei der Lorenzo ... sein Leben verlor. Dennoch wächst die Bewegung weiter - noch am selben Abend, nach dem Trauermarsch und der Ehrung des Verstorbenen, schlossen sich zwei weitere komplette Kleinstädte der APPO und dem Kampf an. Und alle sind mehr denn je fest entschlossen weiter zu machen, bis der Tyrann Ulises Ruiz fällt....
Fuera Ulises Ruiz!! Venceremos!
Quelle:
http://de.indymedia.org/2006/08/155793.shtml
weiteres:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23414/1.html