Bringt die Justiz Klarheit über Madrider Anschläge?
In Spanien beginnt heute der Prozess gegen mutmaßliche Attentäter vom 11. März 2004 / Sieben Hauptangeklagten drohen Haftstrafen von 270 000 Jahren
Von Ralf Streck, San Sebastian
Fast drei Jahre nach den blutigen Terroranschlägen von Madrid beginnt heute der Prozess gegen die mutmaßlichen Attentäter, ihre Hintermänner und Helfer. 191 Menschen wurden damals getötet, mehr als 1800 weitere zum Teil schwer verletzt.
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11. März 2004: Das Datum hat sich in das kollektive Gedächtnis Spaniens eingeprägt wie der 11. September 2001 in jenes der USA. An jenem Frühlingstag drei Tage vor den Parlamentswahlen explodierten in der Hauptstadt Madrid zehn Bomben, zwei weitere wurden von der Polizei durch kontrollierte Sprengungen unschädlich gemacht. Die 13. Bombe wurde erst später in einer Tasche in einer Polizeidienststelle entdeckt. Der Sprengsatz lieferte die mutmaßlich entscheidende Spur zur Aufdeckung der Terrorzelle.
Insgesamt 29 Angeklagte müssen sich in den kommenden knapp sechs Monaten vor dem Antiterror-Gericht in der spanischen Hauptstadt wegen ihrer Verwicklung in die Bombenanschläge auf vier Pendlerzüge verantworten. Allein den sieben Haupttätern drohen Haftstrafen bis zu 270 000 Jahren; nach spanischer Rechtspraxis kämen sie damit erst nach 40 Jahren wieder frei. Angesetzt ist der Prozess auf ein halbes Jahr, doch es wird kaum möglich sein, in dieser Zeit ein derart komplexes Verfahren zu beenden, in dem mehr als 600 Zeugen und 100 Gutachter gehört werden. Zwar wurde stets Al Qaida für die Attacke verantwortlich gemacht, doch dafür hat der Ermittlungsrichter Juan del Olmo keine Beweise. Er spricht nur davon, die Anschläge seien von Al Qaida »inspiriert«.
Den Richtern steckt noch das gescheiterte Al Qaida-Verfahren von 2005 in den Knochen. Damals gelang es nicht, in Spanien lebende angebliche Unterstützer der Anschläge auf das World Trade Center 2001 in den USA zu verurteilen.
Ursprünglich wurden gegen 116 Personen Ermittlungen aufgenommen. Nun werden nur noch 29 Personen, meist Marokkaner, angeklagt. Die Spanier stellen mit neun Personen die zweitgrößte Gruppe. Die Höchststrafe ist für einen Angeklagten vorgesehen, der nicht muslimischen Glaubens ist: Für José Emilio Suárez Trashorras fordert die Staatsanwaltschaft 38 667 Jahre Haft. Er und sein Schwager Antonio Toro Castro waren Spitzel der Nationalpolizei und wurden in ihrer Heimatregion Asturien gerade wegen Sprengstoff- und Drogenhandels zu zehn und elf Jahren Haft verurteilt.
Die neun Spanier sollen die islamischen Fundamentalisten mit mindestens 200 Kilogramm Industriedynamit versorgt haben.
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http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=105144&IDC=2