@ RFID
LOL!
Der Historizismus
Der Historizismus ist eine geschichtsphilosoph. Auffassung, die davon ausgeht, dass es unpersönliche Geschichtskräfte gibt, die der Geschichte eine bestimmte Richtung verleihen, ohne dass sich die handelnden Personen dieser Richtung bewusst sein müssten.
Diese Idee lässt sich bis auf Plato und das "auserwählte Volk" Israels zurückverfolgen, aber ihr Wirken in der Neuzeit hängt untrennbar mit dem Namen des preußischen "Staatsphilosophen" Hegel zusammen.
Gemäß dem Historizismus ist die Geschichte grundsätzlich teleologisch, d.h. auf ein bestimmtes Ziel (gr. telos) ausgerichtet.
In diesem Sinne kann es einen christlichen :Weltgeschichte ist Heilsgeschichte, einen platonischen :Erreichen des vollkommenen Staates; oder einen marxistischen ;Absterben des Staates nach Sieg des Proletariats; Historizismus geben.
Allen gemeinsam ist nicht das Endziel als solches, sondern die Vorstellung, dass die Geschichte als Prozess aufzufassen ist, der ein bestimmtes Ergebnis zur Folge haben muss; am Ende dieses Prozesses endet die Geschichte.
Ein christlicher Historizismus hätte als Endpunkt aller Geschichte das Reich Gottes, ein platonischer den perfekten Staat, und ein marxistischer das Absterben des Staates und das "Reich der Freiheit".
Jegliche Veränderung nach Erreichen dieses Zustandes ist widersinnig, da Vollkommenheit nicht verbessert werden kann.
Für Hegel selber war im Grunde die Vollkommenheit schon erreicht, denn sein Lob auf die preußische Monarchie und ihren König Friedrich Wilhelm III. ließ nur wenig zu wünschen übrig.
Der Historizismus zeichnet sich dadurch aus, dass zahlreiche unpersönliche Kräfte in ihm walten: Geister, Ideen, welthistorische Notwendigkeiten und Vorsehung sind nur einige davon.
Handelnde Menschen sowie zufällige Ereignisse spielen in ihm nur eine geringe Rolle; sie können "notwendige" Tendenzen vielleicht etwas bremsen oder beschleunigen, aber nicht wirklich die Richtung ändern oder den Prozess zum Stillstand bringen.
Damit macht der Historizismus relativ präzise Voraussagen über die Zukunft, auch wenn er keine exakten Daten angibt.
Mittels dieser Voraussagen kann der Historizismus grundsätzlich widerlegt werden, und dies ist bereits mehrfach geschehen (Marx' Verelendungstheorie, aber auch das Abendland floriert weiterhin).
Historizistisch vorgehende Philosophen (Historiker halten sich meist vom Historizismus fern) haben eine Schwäche für schlagwortartige Erklärungen der Weltgeschichte wie etwa Die Weltgeschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen oder Alle Veränderung ist Verfall.
Jedem, der sich ein klein wenig in der Geschichte auskennt, dürfte bei diesen apodiktischen Aussagen mehr als nur ein bisschen schwindlig werden.
Man könnte sagen, dass nur der Historizismus die Geschichte (scheinbar) für Menschen fassbar macht, die ansonsten auf verlorenem Posten stehen würden.
Ehrgeiz und Reiz des Historizismus dürften darin begründet liegen, dass er eine wissenschaftliche Betrachtung der Sozialwissenschaften vorgaukelt und verspricht, die sozialen Vorgänge ebenso vorhersagbar zu gestalten wie etwa Planetenbahnen.
Unterschätzen darf man auch nicht d. romantischen Appeal, der darin liegt, dass man sich als Anhänger einer historizistischen Gesellschaftstheorie als Agent des Notwendigen fühlen kann und die Gewissheit hat, dass man auf der Gewinnerseite ist.
Sollte es nicht so recht klappen wollen, dann kann man immer noch einen kleinen Angriffskrieg starten oder ein paar Bomben legen - denn wen interessiert schon die Moral, wenn man für das Unausweichliche kämpft?
Jeder, der sich diesem Prozess in den Weg stellt, muss doch schon per definitionem böse sein, sei er nun Ungläubiger, Bourgeois oder Jude.
Da der Historizismus das Unausweichliche automatisch mit dem Guten identifiziert, sind natürlich alle Schritte zu seiner Beschleunigung moralisch abgesegnet:
Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. (Schiller), anders gesagt:
Der Erfolg gibt einem recht; whatever is, is right. (Pope).
Es versteht sich, dass kein humaner Mensch so denken würde, und es ist gut, dass historizistische Theorien allmählich im Verschwinden begriffen sind.
Mit Peter Medawar kann man den Historizismus als eine geistige Verirrung im Bereich der Sozialwissenschaften bezeichnen.