Bericht bringt neue Details
35.000 Kinder sollen in
kirchlichen Einrichtungen in Irland zwischen den 1930er und 1980er Jahren
sexuell missbraucht und körperlich misshandelt worden sein. In einem am Mittwoch präsentierten Bericht brachen Tausende Opfer ihr Schweigen und konfrontierten betroffene Orden mit Missbrauchsvorwürfen. Kritisiert wird die Reaktion der kirchlichen Vertreter. In einem Gerichtsverfahren sicherten sich die Ordensvertreter Anonymität, und auch sonst wurde alles getan, um die Wahrheit unter den Teppich zu kehren.
"Häuser des Horrors"
Die Opfer schwiegen lange Zeit, weil sie befürchteten, als Lügner abgestempelt zu werden.
Ein 2.500 Seiten langer Bericht, der am Mittwoch vorgestellt wurde, konfrontiert die katholische Kirche in Irland mit schweren Missbrauchsvorwürfen.
35.000 Kinder sollen von den 30er bis Ende der 80er Jahre in
kirchlichen Institutionen von Nonnen und Priestern missbraucht worden sein.
Die Vorwürfe sind seit mehreren Jahren bekannt. Eine Untersuchungskommission hat in neun Jahren umfassende Details zu den Vorwürfen zusammengetragen, mehr als hundert kirchliche Einrichtungen untersucht und rund 2.500 Zeugen befragt.
Missbrauch und Misshandlung
Die Zeugen gaben an, in kirchlich geführten Institutionen wie Waisenhäusern, Erziehungsanstalten und Armenhäusern
sexuell missbraucht oder körperlich misshandelt worden zu sein. Der Großteil dieser Institutionen wurde in den 70er Jahren geschlossen. Betroffen sind vor allem Einrichtungen der Barmherzigen Schwestern und des in Irland gegründeten Ordens der Christian Brothers.
Orden sichert sich Anonymität
70 Millionen Euro kosteten die Ermittlungen. Erschwert wurde die Arbeit der Kommission durch fehlende Dokumente und Gerichtsverfahren. Der Orden der Christian Brothers hatte die Untersuchungen ein Jahr verhindert, weil er - erfolgreich - vor Gericht für die Anonymität seiner Mitglieder in dem Bericht kämpfte.
Selbst in Fällen, wo es bereits zu Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs oder physischer Attacken kam, sollten keine Namen genannt werden dürfen.
Der Report kritisiert vor allem diesen Umgang und die Reaktion der Kirche auf die Missbrauchsvorwürfe, berichtete die britische BBC. Denn die Kirche habe sich bemüht, die Vergangenheit so weit als möglich in Vergessenheit geraten zu lassen. Im Vorfeld zur Veröffentlichung des Reports gab es keine Stellungnahmen der kirchlichen Vertreter.
TV-Doku brachte Vorwürfe ins Rollen
Eine TV-Dokumentation brachte den Skandal Ende der 90er Jahre ans Licht. Christine Buckley war eine der Ersten, die Anfang der 90er Jahre das Schweigen brach. Für sie zeigt der aktuelle Report, "ob der Weg zu mehr Gerechtigkeit, der von so vielen so lange gegangen wurde, erfolgreich war".
60 Rosenkränze pro Tag herstellen
Buckley wurde Ende der 50er Jahre in ein Waisenhaus der Barmherzigen Schwestern gebracht - als Kind einer unverheirateten irischen Mutter und eines nigerianischen Vaters. In ihrem Heim wurde verlangt, dass die Kinder pro Tag 60 Rosenkränze herstellen sollten, andernfalls drohten ihnen verbale Demütigung oder Schläge.
Andere berichteten davon, dass es auch Strafen gab, wenn bei den Mahlzeiten gesprochen oder mit der linken Hand geschrieben wurde.
Arbeit für den Orden
Ein erster Zwischenbericht wurde bereits 2003 veröffentlicht. 700 Zeugen hatten zu ihrem Leben in einer der kirchlichen Institutionen ausgesagt. Sie berichteten, mit Lederriemen und Stöcken geschlagen worden zu sein. Andere erzählten, wie sie
von mehreren Tätern gleichzeitig vergewaltigt wurden.
Für die meisten Kinder, die in einer dieser Institutionen untergebracht waren, endete die Schulpflicht mit zwölf Jahren. Danach arbeiteten sie für den religiösen Orden in der Landwirtschaft, in Wäschereien und als Haushaltshilfen. Viele blieben bis zu ihrem 16. Lebensjahr in den Einrichtungen.
Die meisten Kinder kamen in kirchliche Obhut etwa wegen Schulschwänzens oder weil sie unehelich geboren wurden. Die Kinder seien in "Häusern des Horrors" gefangen gewesen, meinte die Journalistin Mary Raftery, die sich mit dem Fall näher beschäftigte.
"Es ist eine beschämende Episode unserer Geschichte", sagte sie gegenüber der BBC. Dennoch wurde lange Stillschweigen bewahrt. Die Opfer befürchteten, von weiten Teilen der katholischen Gesellschaft Irlands als Lügner abgestempelt zu werden.
Mit diesem Report und der Veröffentlichung ihrer Erlebnisse hoffen die Opfer nun auf späte Rehabilitation. Erstmals gibt es auch spezifische Daten zu bestimmten Einrichtungen. Die Regierung stellte nun Entschädigungszahlungen in Aussicht.
Entschädigungszahlungen möglich
Der erste große Skandal eines
pädophilen Priesters 1994 brachte eine ganze Regierung zu Fall. 1999 entschuldigte sich der frühere Premierminister Bertie Ahern für das jahrelange staatliche Versagen, die Rechte seiner Kinder zu schützen.
Er war es auch, der die Untersuchungskommission etablierte und Schadenersatzzahlungen von umgerechnet jeweils rund 61.000 Euro für 12.000 Opfer veranlasste. Auch jetzt stellte die Regierung Entschädigungszahlungen in Aussicht. Von der Kirche gab es dazu noch keine Äußerungen.
Quelle:
http://orf.at/090520-38507/index.html