Ein Interview mit dem deutschen Nahost-Experten Jamal Karsli, über die Entlassung eines Mitarbeiters der Bundeszentrale für politische Bildung für seine Israel-Kritik.
Rundfunk: Die Tageszeitung "Junge Welt" hat in ihrer Montagausgabe berichtet, dass die Bundeszentrale für Politische Bildung einen der vier Redakteure der von ihr herausgegebenen Zeitschrift aus Politik und Zeitgeschichte entlassen hat. Sie kennen sicherlich den Fall, deshalb möchte ich Sie darum bitten, uns darüber zu informieren.
Karsli: Es handelt sich hier um Dr. Ludwig Watzal. Er ist Wissenschaftler, der sich auf die Nahostpolitik konzentriert und dazu mehrere Bücher veröffentlicht hat. Zum Beispiel ein Buch mit dem Titel "Feinde des Friedens", oder ein weiteres Buch mit dem Titel "Frieden ohne Gerechtigkeit". Er hat in seinen Büchern versucht, klar zu machen, dass in der gegenwärtigen Vorgehensweise kein Frieden geschaffen werden kann. Natürlich diejenigen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, und dazu noch eine neutrale Position haben, werden Israels Politik in den Palästinensergebieten kritisiert. Und wenn sie da tun, dann fallen sie sofort unter die Kategorie der "Antisemiten". Herr Dr. Watzal hat in seinen Büchern die israelische Politik in den besetzten Palästinensergebieten sehr massiv kritisiert und an einer Stelle geschrieben: "Israel ist eine wild gewordene Kolonialmacht geworden." Er hat auch die israelische Vorgehensweise gegenüber den Palästinensern "ethnische Säuberung" genannt.
Deshalb hat er eine Kampagne am Hals bekommen. Diese Kampagne ist von den USA, von Österreich, von Deutschland, kurzum von allen israelischen Lobbyisten losgegangen. Sie haben auf den Arbeitgeber von Herrn Dr. Watzal Druck ausgeübt, damit er ihn entlässt und leider ist es auch dazu gekommen. Man stellt nun die Frage, wer das nächste Opfer sein wird? Jetzt war Dr. Watzal daran, vorher waren vielleicht Jürgen Möllermann, und Jamal Karsli daran. Es gibt sehr viele Opfer dieser Antisemitismus-Keule. Es liegt nicht lange zurück, dass man sogar die Tochter des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Galinski, des Antisemitismus bezichtigt und sie deswegen auch verklagt hat. Wenn es so weiter geht, dann werden sehr bald auch freunde Israels, die Israels Politik nur kritisieren, daran sein.
Dr. Ludwig Watzal ist ein Mann, der sich immer wieder für einen gerechten Frieden im Nahen Osten eingesetzt hat. Ich finde es Schade, dass er nun für diese gute Leistung bestraft wurde.
Rundfunk: Viele Bundesbürger werden sich sicherlich fragen, weshalb er, Herr Dr. Watzal, so hart bestraft worden ist?
Karsli: Ich habe mir auch sehr oft diese Frage gestellt. Im Jahr 2002 ging gegen mich auch eine ähnliche Kampagne los, weil ich damals einen Artikel verfasst habe, in dem ich die israelische Politik kritisierte. Bevor die Kampagne gegen mich losging, wurde ich gar nicht gefragt, man wollte meine Stellungnahme dazu nicht hören. Das sind alle Versuche, mutige Menschen in Deutschland, die sich wagen, die israelische Politik offen zu kritisieren, zum Schweigen zu bringen. Man geht gegen Andersdenkende so hart vor, damit keiner sich wagt, Israel zu kritisieren. Deshalb glaube ich, es wird nicht beim Fall "DR. Watzal" bleiben, sondern weiter gehen.
Stellen Sie sich vor, dass nicht einmal die israelischen Staatsbürger von dieser Hetzkampagne verschont bleiben. So wirft zum Bespiel Henrik Broder, ein jüdischer Publizist, Shraga Elam, einem israelischen Buchautor, oder Hajo Mayer, jüdischen Antisemitismus vor. Das sind Israelis, die sich für Frieden im Nahen Osten einsetzen und dabei Israels Vorgehensweise in den besetzten Palästinensergebieten kritisieren. Damit sollen, wie ich vorhin sagte, alle mutigen Stimmen zum Schweigen gebracht werden, unabhängig davon, ob sie Deutsche, Israelis oder sonst wer sind.
Ein weiteres prominentes Opfer ist Frau F. Langer, eine bekannte israelische Rechtsanwältin und Friedensaktivistin. Vielleicht ein letztes Beispiel, und das ist Professor Elan Paper, der ein Buch mit dem Titel "Die ethnische Säuberung in Palästina" geschrieben hat. Er war Dozent an der Universität in Haifa und nach der Veröffentlichung dieses Buches dürfte er nicht mehr an dieser Universität lehren. Er lebt zurzeit in London und lehrt dort.
Also, es geht darum mutige Menschen zum Schweigen zu bringen.
Rundfunk: Sie haben in Ihren Ausführungen auch etwas über Ihren Fall gesagt. Erzählen Sie bitte, wie man gegen Sie vorgegangen ist.
Karsli: Ich habe 2002, also während der Belagerung von Dschenin, eine Presseerklärung veröffentlicht, in der ich geschrieben hatte: "Israel wendet Nazi-Methoden an." Dafür musste ich mich später entschuldigen. So ähnlich haben sich auch viele Menschen in Israel geäußert, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Aber in Deutschland ist es ganz anders. Deshalb ging gegen mich nach der genannten Presseerklärung eine Kampagne los. Jürgen Möllermann wurde sogar in den Tod getrieben. Das war eine sehr harte Zeit und ein hartes Schicksal für mich. Also, wer in Deutschland den Mund aufmacht, Israels Politik zu kritisieren, der wird hart bestraft. Ich habe seinerzeit den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland und seinen Vizen, Spiegel und Friedmann, verklagt, weil sie mir Antisemitismus vorwarfen, jedoch ohne Erfolg.
Ich bin selber Immigrant und bekämpfe Rechtsradikalismus und setze mich für die Rechte der Minderheiten hier in Deutschland ein, deshalb kann ich einfach nicht Antisemit sein. Sie haben aus mir in einer sehr kurzen Zeit einen Rechtsradikalen, einen Antisemit gemacht und zwar mit Hilfe der hiesigen Medien. Wie lange das so weitergeht, wie lange es dauern wird, bis es sich umschlägt, weiß man nicht.
Ich glaube, wenn es so weitergeht, wird auch eines Tages Henrik Broder daran sein.
Stellen Sie sich vor, dass selbst Israels Ministerpräsident, Ehud Olmert, zugibt, dass Israels Existenz gefährdet wird, wenn das Palästinenserproblem nicht gelöst wird. Alle weisen auf diese Gefahr hin, nur in Deutschland ist das noch ein Tabu-Thema. Hier gibt es viele Heuchler, dass heißt, Menschen, die hinter den Kulissen über Israel schimpfen, aber in der Öffentlichkeit das Gegenteil sagen. Das ist keine gesunde Situation.
Antisemitismus-Keule ist nicht anders als Maulkorb für die Menschen hierzulande. Ich habe ein Buch darüber geschrieben, mit dem Titel "Maulkorb für Deutschland", das heißt, Menschen können nicht das sagen, was sie denken. Die Frage ist nun, wie lange noch diese Keule wirksam bleibt.
Es ist die höchste Zeit, über das Palästinenserproblem eine offene Diskussion zu zulassen. Es muss erlaubt sein, Israels Politik, Israels Vorgehensweise, in Palästina zu kritisieren. Ich bin der Meinung, man darf über das, was mit den Juden passiert ist, nicht schweigen. Und das Gleiche soll auch für das palästinensische Volk gelten. Die Tatsachen kann man nicht verdrängen. Mit Verdrängen kann man die Geschichte nicht heilen. Also, noch einmal, man muss über die Ereignisse in Palästina reden, Deutschland muss beweisen, dass es aus der Geschichte gelernt hat. Dafür ist es notwendig, dass man den Menschen erlaubt, offen über die Ereignisse in Palästina zu reden. Wer verhindert, dass über die Misere in Palästina berichtet oder gesprochen wird, der macht sich schuldig, diesmal gegenüber dem palästinensischen Volk. 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen leben unter schlimmsten Verhältnissen. Deshalb ist es die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass man offen über die Situation in den Palästinensergebieten spricht und diskutiert.
Seyyed Hedayatollah Shahrokny
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