Hier nach ein Modell nach Victor Panik:
Geht es in Deutschland Ihrer Meinung nach sozial gerecht zu?
Diese Frage stellt das Meinungsforschungsinstitut Allensbach seit Jahrzehnten.
Die möglichen Antworten lauten (a) "eher gerecht" und (b) "eher ungerecht".
Dies gibt den Befragten die faire Möglichkeit, sich auch dann positiv zu äußern, wenn sie durchaus Ungerechtigkeiten sehen.
Daher ist es ein empfindliches Barometer für die soziale Lage in Deutschland.
Während die Antworten sich jahrzehntelang meist inetwa die Waage hielten, ist in den letzten Jahren die Stimmung deutlich gekippt, fast zwei Drittel der Befragten sind heute der Meinung, dass es eher ungerecht zugehe. Kein Wunder, zeigen doch alle Statistiken und Umfragen, dass der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre an der Mehrheit vorbeigegangen ist.
Nun gibt es auch Stimmen, die behaupten, die Medien seien für die schlechte Stimmung verantwortlich. Doch auch bei diesen Stimmen handelt es sich um Journalisten und andere Meinungsmacher!
Aber es ist überflüssig, über Meinungs-Manipulation zu diskutieren, denn es gibt einen klaren Beweis, dass es ungerecht zugeht: Es gibt ein Problem, über das allgemeine Einigkeit herrscht: Der sogenannte Lohnabstand ist in Deutschland zu gering!
Als Lohnabstand bezeichnet man den Unterschied zwischen Lohn und Sozialleistung, also heute zwischen Nettoeinkommen und Hartz-IV-Satz (H-IV).
Uneinigkeit herrscht jedoch über die Ursache hierfür:
Bürgerliche neigen eher zu der Auffassung, die Sozialleistung sei zu hoch.
Linke neigen eher zu der Auffassung, die Löhne seien zu niedrig.
Die Wahrheit ist, beide haben Unrecht!
Ursache ist tatsächlich, dass unser Sozialstaat nach einem falschen Prinzip arbeitet, nämlich dem der Bedürftigkeit. Ich führe es letztlich auf den natürlichen Instinkt des Menschen zurück, dass wir nur Mitleid mit denjenigen haben, die nicht genug zum Leben haben, nicht jedoch mit denen, die aus eigener Kraft genug erwirtschaften! Wo diese Mitleidsschwelle liegt, das liegt im Auge des Betrachters, aber über 90% der Menschen halten es für vernünftig, dass der Staat einen Standard festlegt, ein Existenzminimum, und nur denen hilft, die aus eigener Kraft nicht darüber kommen, und auch nur soviel hinzugibt, wie ihnen zu diesem Standard fehlt.
Dabei widerspricht dieses Prinzip direkt dem gesunden Menschenverstand, wonach Leistung sich lohnen muss!
Vor H-IV wurde Bedürftigen - abgesehen von einem geringen Freibetrag - eigenes Einkommen in voller Höhe angerechnet! H-IV hat diese konfiskatorische Anrechnung etwas gemildert, doch ich bin weit davon entfernt, H-IV zu verteidigen. Denn in der Praxis hatten damals Sozialhilfeempfänger das Recht, Arbeit abzulehnen, die ihnen finanziell nicht nutzte. Daher wurde die Sozialhilfe von Arbeitgeberorganisationen zurecht auch als "faktischer Mindestlohn" bezeichnet.
Doch seit H-IV werden Bedürftige zur Arbeitssuche gezwungen, obwohl der mögliche Hinzuverdienst sehr bescheiden ist, dasselbe Problem übrigens, unter dem auch Gering-Verdiener und durchschnittsverdienende Eltern leiden, die Sozialhilfeempfänger um ihr nicht-verdientes Geld beneiden! Und durch diese künstlich erzeugte Nachfrage nach Arbeit geraten die unteren Lohngruppen unter Druck. Einzelne Investoren entdecken die Möglichkeit, durch "Zwangsarbeiter" (übrigens ein Ausdruck, der vom Präsidenten des konservativen Bauernverbandes verwendet wurde) etablierten Unternehmen Marktanteile abzunehmen, wodurch reguläre, tarifvertraglich bezahlte Arbeitsplätze in Gefahr geraten (z.B. Konflikt zwischen Pin-Group und Post AG).
DIES ist der Grund dafür, dass Deutschland in den letzten 8 Jahren die niedrigsten Lohnerhöhungen in der EU hatte (wie ich vor einigen Monaten einer seriösen internationalen Quelle entnommen habe, an die ich mich nicht mehr erinnere, OECD oder ILO oder so).
Wieviele Menschen wissen eigentlich, wie H-IV berechnet wird? Dass einem Bedürftigen, der eine Beschäftigung annimmt - abgesehen von den ersten 100 Euro, die abgabenfrei sind - 80% des Hinzuverdienten auf H-IV angerechnet werden, über 800 Euro (brutto) sogar 90%!? Warum das so ist? Nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil es so "billiger" ist. Doch dies ist ein Trugschluss, denn wenn, unter Berücksichtigung des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung von ca 20%, ein Arbeitgeber 6 Euro aufbringen muss (oder sogar 12 Euro), damit bei seinem Beschäftigten EIN Euro effektiv ankommt, dann verteuert der Staat einfache Arbeiten unnötig.
Darum betone ich immer wieder, dass Niedriglohnjobs nicht per se schlecht sind, sondern durch die strenge Einkommensanrechnung unseres Sozialstaats schlecht gemacht werden.
Man kann diesen Zusammenhang grafisch darstellen, doch dies ist hier leider nicht möglich.
Ich empfehle die Lektüre der Artikel des IFO-Instituts, die man leicht findet, wenn man den Begriff Brutto-Netto-Kurve googelt, den ich im folgenden mit BNK abkürze. Die Artikel sind sehr überzeugend, wenngleich ich die Autoren für zu pessimistisch halte, was die Arbeits-Bereitschaft der Menschen betrifft. Sie plädieren für eine aktivierende Sozialhilfe, die dem liberalen Bürgergeld sowie dem Revenu de Solidarité Active (RSA) ähnelt, welches Mitte des Jahres in Frankreich eingeführt wird, und welche ich als bedingtes Grundeinkommen bezeichnen würde. Der Unterschied zu H-IV liegt "lediglich" in einer erheblich verringerten Einkommens-Anrechnung, doch wird dieser Unterschied meiner Erwartung nach in Frankreich "Wunder bewirken". Ich gehe davon aus, dass der Erfolg deutlich machen wird, dass auch Bedürftige an Arbeit interessiert sind, wenn diese ihre finanzielle Situation spürbar verbessert.
Auch meinen Namen darf man übrigens googeln, etwa 30 Kommentare zum Thema wurden auf der Website von grundeinkommen(punkt)de freigeschaltet.
Die Brutto-Netto-Kurve stellt den Zusammenhang zwischen Arbeitsleistung (gemessen in Arbeitskosten) und verfügbarem Einkommen dar, also die Art und Weise, wie der Staat durch Steuern und Sozialabgaben einerseits und Sozialleistungen andererseits das Volkseinkommen umverteilt, und zwar aus der Sicht des Einzelnen.
Derzeit ist die BNK haushalts-bezogen.
Der heutige Verlauf der BNK eines (abhängig beschäftigten) Singles ist folgendermaßen:
(Bei SV-pflichtigen Beschäftigungen habe ich einen Arbeitgeberanteil von 20% zugrundegelegt.)
Die Kurve beginnt bei null eigenem Einkommen (bzw. Arbeitskosten) beim jeweiligen "Bedarfssatz", der sich aus Regelsatz (derzeit 351 Euro) und Unterkunftskosten zusammensetzt. (Letztere müssen örtlich "angemessen" sein.)
Zunächst steigt sie kurz recht steil an, der "Freibetrag" von 100 Euro entspricht ca 130 Euro Arbeitskosten, bedingt durch die 400-Euro-Job-Regelung.
Danach folgt ein langer, flacher Bereich mit ca 16,5% Steigung, welcher der 80%igen Anrechnung entspricht, mit einer kleinen Unregelmäßigkeit bei ca 520 Euro Arbeitskosten, was dem Ende der 400-Euro-Regelung entspricht, bis 960 Euro (800 Euro "brutto").
Danach folgt ein noch flacherer Bereich mit ca 8,3% Steigung, bis das Alg-II aufgebraucht ist.
Danach beträgt die Steigung ca 50%, welches durch Lohnsteuer, Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung bedingt ist. Dieser Bereich ist jedem Wirtschaftsfachmann bekannt und insbesondere Wohnkosten-unabhängig. Die Kurve zeigt von da an keine deutlichen Unregelmäßigkeiten mehr. Sie wird aufgrund der Steuerprogression (des Grenzsteuersatzes) zunächst langsam etwas flacher, durch die Beitragsbemessungsgrenzen jedoch wieder merklich steiler, bis sie in eine gerade Linie mit Steigung 55,69% übergeht, wegen des Spitzensteuersatzes von 42% plus 5,5% Solidaritätszuschlag "auf die Steuerschuld", also 1,055 * 42% = 44,31%.
Der entscheidende Fehler liegt darin, dass die BNK links (bei niedrigen Einkommen) flacher als rechts (bei hohen Einkommen) verläuft, was bedeutet, dass niedrige Einkommen stärker als hohe "durch Abgaben belastet" werden, auch wenn es sich bei den niedrigen Einkommen eben nicht um echte Abgaben handelt, sondern "lediglich" um Einkommensanrechnung auf eine Sozialleistung. Man spricht hier auch von einer "Tranferentzugsrate". Doch psychologisch wirkt eine Transferentzugsrate von 80 oder 90 Prozent ebenso demotivierend wie eine entsprechend hohe Steuer, und das ist das entscheidende!
Genau dort setzt die Idee des Grundeinkommens an. Dieses begradigt die Brutto-Netto-Kurve.
So ungefähr zumindest. Denn es gibt ja unterschiedliche Konzepte:
Das Althaus-Modell ist eine konkrete Variante des (variablen) Ulmer Modells, welche ebenfalls für Netto-Empfänger einen höheren Abgabensatz als für Netto-Zahler festlegt. Darum kritisiere ich sie auch. Darum ist auch die Kritik von Herrn Kaeß berechtigt, das Althaus-Modell sei unsozial. Und dennoch verteidige ich das Althaus-Modell als für den Einstieg geeignet.
Andererseits existiert das Modell der BAG in der Linkspartei, welches sogar eine Steuerprogression (d. Grenzsteuersatzes) vorsieht. Auch diese halte ich für unnötig, doch da sie ein relativ hohes Grundeinkommen fordern, muss das Geld ja irgendwo herkommen.
Ich dagegen befürworte die einfachste Variante, ein (einkommens-)lineares Grundeinkommen, das heißt, eines, welches durch eine Flat-Tax finanziert wird, also einen einheitlichen Steuersatz/Grenzsteuersatz, ohne Transfergrenze, ohne Steuerprogression, ohne Grundfreibetrag.
Auch das Götz-Werner-Modell ist einkommens-linear! Vielleicht wäre es tatsächlich optimal, die Einkommensteuer komplett durch eine Mehrwertsteuer-Erhöhung zu ersetzen, ich kann den Unterschied nicht beurteilen. Doch der krasse Unterschied zum traditionellen Steuersystem, welches in unseren Nachbarländern zunächst fortbestünde, würde in der Tat zu großen Schwierigkeiten mit dem grenzüberschreitendem Handel führen. Im Übrigen halte ich den Unterschied zwischen seinem Modell und dem von mir befürworteten jedoch für marginal.
Legt man sich auf ein lineares Modell fest, so bleibt nur noch die Höhe zu entscheiden. Dabei gilt eine simple Regel:
Zur Finanzierung eines Grundeinkommens in Höhe von X Prozent des Pro-Kopf-Einkommens ist entweder eine Flat-Einkommensteuer von X Prozent oder eine inclusive allgemeine Mehrwertsteuer von X Prozent oder ein passender Mix von beidem notwendig. (Eine inclusive Mehrwertsteuer von 50% entspricht einer traditionellen von 100%) Hinzu kommen die sonstigen Staatsausgaben, die ebenfalls linear finanziert würden.
Das bedeutet insbesondere: Je höher das Grundeinkommen, desto niedriger die Hinzuverdienst-Quote!
Durch ein lineares(!) Grundeinkommen werden aber in keinem Fall mittlere und niedrige Einkommen belastet! Das ist aufgrund der heutigen Form der BNK überhaupt nicht möglich. Das kann nur bei einem "geknickten" Grundeinkommen wie dem Althaus-Modell geschehen! Ein lineares Grundeinkommen in Hartz-IV-Höhe oder darüber würde automatisch von den "Reichen" finanziert, ein niedrigeres von den Reichen und denjenigen, die trotz Arbeitsanreiz erwerbslos blieben, und ein ganz niedriges könnte sogar allein durch Leistungskürzung finanziert werden (Hans-Werner-Sinn-Modell, Präsident des IFO-Instituts, das ich oben noch gelobt habe!).
Das ist alles nicht ganz neu, aber bislang weitestgehend unbekannt geblieben.
Neu ist, dass ich mir Gedanken darüber gemacht habe, wie man denn schrittweise zum Grundeinkommen gelangen könne.
Dazu ist die BNK das ideale Hilfsmittel!
Wer den Umgang mit ihr beherrscht, kann jeden Reformvorschlag leicht auf Tauglichkeit abklopfen:
Eine Senkung der Einkommensteuer, wie sie den bürgerlichen vorschwebt, nützt nur denen, die "Steuern zahlen", und zwar nahezu proportional. Die BNK sagt dazu: links bleibt flach, rechts wird noch ein wenig steiler - kontraproduktiv!
Eine Erhöhung des Grundfreibetrags, wie die SPD befürwortet, bewirkt eine Verschiebung des rechten Asts nach links, wodurch der flache Bereich links etwas kürzer wird - eine leichte Verbesserung. Die Steuerersparnis wird zwar für hohe Einkommen absolut gesehen etwas größer als für niedrige, bedingt durch den höheren Grenzsteuersatz, aber deutlich unterproportional.
Eine Erhöhung des Grundfreibetrags ließe sich aber auch durch eine "Verschiebung der Steuerkurve nach unten" realisieren, was sogar einen einheitlichen Steuerentlastungs-Betrag für jeden Steuerzahler bedeuten würde! Der rechte Ast der BNK würde dadurch nach oben verschoben, der flache Bereich dadurch etwas kürzer. Auf dem Papier würde allerdings der Eingangssteuersatz leicht steigen, doch der ist nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt ist!
Dazu noch ein scheinbar paradoxes Beispiel: Aus der SPD wurde gefordert, untere und mittlere Einkommen zu entlasten, obere hingegen zu belasten. Imgrunde übrigens genau das, was durch ein lineares Grundeinkommen bewirkt würde! Wer käme darauf, dass genau dies, ohne Mehrbelastung der Reichen übrigens, durch eine Abschaffung der Steuerprogression (genauer gesagt des linear-progressiven Abschnitts der Steuer-Kurve), nämlich durch eine Flat-Tax von 44,31% zu erreichen wäre!
Nochmal verständlich formuliert: Bei einem passenden Grundfreibetrag ist eine Flat-Tax von 44,31% möglich, die die Steuerbelastung von Spitzenverdienern unverändert lässt und gleichzeitig Normalverdiener entlastet, und zwar nach dem Prinzip "je niedriger das Einkommen, desto größer die Entlastung"!
Nur H-IV-Empfänger hätten nichts davon, außer den Aufstockern am oberen Rand.
Vielleicht scheint es so, als hätte der vorige Absatz nichts mit dem Grundeinkommen zu tun?
Doch! Die Gedanken, die ich mir gemacht habe, führten zu folgendem Resultat:
Wenn die Sanktionen abgeschafft würden, bei Beibehaltung der Aufstockungs-Regelung, wie würden die Betroffenen reagieren?
Ein Teil würde die Arbeit aufgeben, ausgenommen den Freibetrag, der abzugsfrei hinzuverdient werden darf.
Der andere Teil würde deren Arbeit mit übernehmen, um finanziell in den Bereich geringerer Abzüge vorzustoßen und etwas finanziellen Abstand zum Existenzminimum zu gewinnen.
Eben etwa so wie vor H-IV.
Diese beiden Bereiche der (heutigen) BNK, in denen sich die Menschen sammeln würden, bezeichne ich als "Zuverdienst-Punkt" und "Geringverdiener-Flanke".
Der ideale Einstieg in das Grundeinkommen besteht also darin, die Geringverdiener-Flanke (das ist der untere Teil des rechten, steilen Abschnitts der BNK) parallel(!) anzuheben, und den Zuverdienst-Punkt in Richtung Geringverdiener-Flanke zu verschieben.
Ersteres ginge derzeit am besten durch eine Befreiung eines Sockelbetrages von Sozialversicherungsbeiträgen, zum Beispiel:
400 Euro pro Kopf sind grundsätzlich von der Sozialversicherung befreit. Dadurch würde die heutige 400-Euro-Regelung faktisch abgeschafft.
Oder sogar eine Sozialabgaben-Befreiung des Existenzminimums.
Letzteres (Zuverdienst-Punkt) könnte durch eine reduzierte Einkommens-Anrechnung bei H-IV realisiert werden, evtl bei Verzicht auf einen "echten" Freibetrag. Eine Staffelung der Anrechnungs-Sätze würde dem Staat sogar ermöglichen, die Folgen späterer Veränderungen einzuschätzen, Beispiel:
Die ersten 100 Euro werden zu 10 Prozent angerechnet, die nächsten zu 20 Prozent, die nächsten zu 30% etc. Anschließend würde beobachtet, wieviele Empfänger 100 Euro hinzuverdienen, wieviele 200, wieviele 300 etc. und Fachleute könnten dann besser einschätzen, wie stark weiter verbesserte Zuverdienst-Möglichkeiten genutzt würden. Genau dies ist die Datenbasis, die heute noch zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens fehlt!
Grilleau
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