Kurzer Abriss des Anthroposophischen Systems. Christus bei Steiner und die biblischen occulten Irrlehrn der Anthroposophie
Skizze des anthroposophischen Systems
Steiner untergliedert den gegenwärtigen Menschen - unter Aufnahme und
Variation von Lehren aus verschiedenen esoterischen Systemen30 - in vier
Leiber:
a) physischer Leib (stofflicher Leib);
b) Ätherleib (übersinnlicher Form- oder Lebensleib);
c) Astralleib (übersinnlicher Bewußtseinsleib, der beim Schlaf sowie
zwischen Tod und neuer Geburt im Weltall weilt);
d) Ich (Erinnerungsleib).
In Zukunft wird sich der Mensch in einem Prozeß von Wiederverkörperung
(Reinkarnation) und Schicksalsgesetz (Karma) über die Stufen "Geistselbst"
und "Lebensgeist" zum "Geistesmenschen" weiterentwickeln.
Die sieben Entwicklungsstufen erfolgen in sieben Weltzeitaltern, die mehrheitlich
nach verschiedenen Himmelskörpern benannt sind: Saturn-, Sonnen-,
Monden-, Erden-, Jupiter-, Venus- und Vulkan-Zeitalter. Gegenwärtig befinden
wir uns im vierten, im Erden-Zeitalter, das die Ausbildung des
menschlichen Ich-Leibes zum Ziel hat. "Saturn", "Sonne" und "Mond" sind
nicht einfach (im räumlichen Sinn) mit den gleichlautenden Planeten unseres
Sonnensystems gleichzusetzen, sondern sie sollen (in einem zeitlichen
Sinn) "Namen für vergangene Entwickelungsformen sein, welche die Erde
durchgemacht hat" (601,111; HiO). Ebenso sind "Jupiter", "Venus" und
"Vulkan" Entwicklungsstufen, die die Erde durchmachen wird.
Die Geschichte ist ein Wechselspiel von Evolution (Fortentwicklung der Materie)
und Involution (Eingießen des geistigen Prinzips aus unsichtbaren
Welten). Dabei kommt es zu einer Höherentwicklung in Form aufsteigender
Kreise (das Bild der Spirale als Verbindung östlich-zyklischen und westlichteleologischen
Geschichtsdenkens). Dieses Geschichtssystem Steiners ist
deutlich von Blavatskys "Geheimlehre" beeinflußt.31 Zudem kommt in der
Grundanschauung vom Fall in die Materie und Wiederaufstieg zum Geist,
die hinter den folgenden Auffassungen steht, grundlegendes gnostisches Gedankengut
zur Geltung."... alle gnostischen Systeme stellen ein großes Drama
dar, das Gott und Welt umspannt und darstellt, wie ein göttlicher Teil in den
Bann der Welt gerät und wie er daraus endgültig errettet wird" (Werner
Foerster).32
Die Aufwärtsentwicklung des Menschen nämlich wurde laut Steiner gestört,
weil er zu früh - nämlich vor Ausbildung des Ich - nach Freiheit und Gottähnlichkeit
strebte.33Schon vorher war es-und hier treten in der Anthroposophie
"höhere Geisteswelten" auf den Plan - zu einem Aufstand der in der Entwicklung
zurückgebliebenen Mondenwesen gegen die guten, lebensspendenden
Sonnenwesen gekommen - und wegen des Streits dieser Geister auch zur
Trennung der Himmelskörper. Die aufrührerischen Monden wesen gössen dem
Menschen (der erst aus Astralleib, Ätherleib und einem unsichtbaren physischen
Leib bestand!) Leidenschaften, Triebe und Begierden in seinen astralischen
Leib. Dieser Vorgang wird von Steiner als "Luzifer-Ereignis" bezeichnet und
mit der Schilderung in Gen 3 gleichgesetzt. "Ihr werdet sein wie Gott" (Gen
3,5) - wäre dieser Satz später - an das Ich gerichtet- gehört und befolgt worden,
dann hätte er in ruhiger Weise die Entwicklung des Menschen zum Geistesmenschen
fortgesetzt. So aber, an den astralischen Leib gerichtet, geriet die
gesamte Entwicklung durcheinander. Der Mensch wurde tiefer als geplant
in die Materie verstrickt, und Ahriman als polarer Gegensatz zum übergeistigen
Luzifer redet ihm jetzt ein, es gäbe nichts als Materie. Der physische Leib
wurde sichtbar. Egoismus, Krankheit, Lüge und die Möglichkeit zum Bösen
traten in die Welt.
"Der Christus " - Steiner gebraucht fast immer diese Bezeichnung mit Artikel-
soll die Verstrickung in die Materie wieder aufheben und die Wiedervergeistigung
des Menschen und des Kosmos einleiten. Wer ist "der Christus"
nach anthroposophischem Verständnis? Er ist der "Logos", die "Summe
der sechs Elohim [Mehrzahl; d. Verf.], die mit der Sonne vereinigt sind, die
also die Erde mit ihren Gaben geistig beschenken" (103,130). Von ihnen hat
sich Jahwe als siebter Elohim, als Beherrscher der Mondengeister, die als
verhärtende, entwicklungshemmende Prinzipien tätig sind, abgespalten. Auch
hier finden wir bei Steiner deutliche Anklänge an gnostische Anschauungen,
etwa bei dem frühen Gnostiker Satornil (Anfang des 2. Jahrhunderts n.Chr.):
"Satornil lehrt, gleich wie Menander, einen allen unbekannten Vater, der Engel,
Erzengel, Kräfte und Gewalten gemacht hätte. Von sieben Engeln sei die Welt und
alles in ihr entstanden, auch der Mensch sei ein Engelgebilde ... Und der Gott der
Juden, sagt er, sei einer der Engel, und weil den Vater alle 'Mächte' vernichten wollten,
sei Christus zur Vernichtung des Gottes der Juden erschienen und zur Rettung derer,
die ihm glauben, das seien die, die den Lebensfunken in sich hätten."34
Solche gnostischen "Parallelen" ließen sich leicht vermehren. Aufs Ganze
gesehen vertritt die Anthroposophie eine historisch gedehnte und in ihrer universalen
Weite moderne Form des Synkretismus. Denn jene hohe
Sonnenwesenheit, die sich als "der Christus" in "Jesus" verkörpert, hat
vorher schon andere Figuren der Religionsgeschichte als Hüllen benutzt, um
ihre lichtvollen Impulse in die Menschheitsgeschichte hineinzugeben, z.B.
Vishva-Karman bei den Indern, Ahura-Mazdao bei den Persern, "Ich bin"
(Jahwe) und die Elemente (etwa Wolken- und Feuersäule) bei den Hebräern,
Mysterieneingeweihte bei den Ägyptern sowie - in zunehmender Dekadenz
- bei den Griechen und Römern. Mit "Indern" und "Persern" meint Steiner
zunächst nicht die uns bekannten Kulturen aus historisch erforschbaren Zeiträumen,
sondern vorhistorische Formen, deren Erforschung nur dem Hellseher
möglich ist und die die Vorstufen der uns bekannten "Inder" und "Perser"
bilden (vgl. 60l,205ff).
Die Verkörperung des Christus in Jesus nun ist Höhepunkt und Abschluß
aller anderen Verkörperungen, weil hierdurch der entscheidende Impuls zur
Wiedervergeistigung und Emporentwicklung in die Menschheit einfließt. Der
Ertrag aller bisherigen Verkörperungen fließt hier zusammen. Weil eine Individualität
diese Fülle nicht fassen kann (sie würde die physische Leiblichkeit
sprengen), sind zunächst zwei Jesusknaben zur Ausbildung der einzelnen
Leiber notwendig, und zwar einer, der die indische Buddha-, und einer, der
die persische Zarathustra-Strömung verkörpert. Mit zwölf Jahren ist die notwendige
Reife erlangt. Beide Knaben fließen in eine Individualität zusammen,
wobei der physische Leib des einen stirbt. Die Lehre von den "zwei Jesusknaben"
ist eine Steinersche Sonderlehre, die - ebenso wie die weiteren
Spezifika der nachfolgend geschilderten Christosophie - in der Theosophie
kein Vorbild hat und zur Trennung Steiners von derTheosophischen Gesellschaft
beitrug.
Bei der Jordantaufe verläßt das Zarathustra-Ich laut Steiner den Jesusleib,
und das Christus-Ich, der Christus-Sonnengeist tritt- symbolisiert durch die
Taube - in ihn ein. Dieser Christus wird nun zum Verkünder des "Ich", das
auch als "Kyrios" ("Herr") bezeichnet wird. Der Mensch soll den "Gott in
sich" finden und dadurch zum wahren Ich-Menschentum, zur Freiheit des
Geisteslebens und zur Selbstbestimmung aufsteigen. Durch die Predigt des
Christus erfolgt die Bewußtmachung des Ich, durch seine Heilungen die
Auferweckung des Ich im Menschen. In diesen modern anmutenden Gedanken
ist der Einfluß von Fichtes Ich-Philosophie unübersehbar.
Nach anthroposophischem Verständnis liefert der Christus selbst den Impuls
zur Selbstvergottung, Selbststeigerung, Wiedervergeistigung und Weiterentwicklung
des Menschen und des Kosmos - und zwar durch das "Mysterium
von Golgatha". Hier gibt es nun für Steiner ein Ereignis von zentraler Bedeutung,
das die biblischen Autoren allerdings so nicht berichten: Das Blut
des am Kreuz Hängenden sei in die Erde getropft und habe dadurch den entscheidenden
Impuls zur Vergeistigung der Erde gegeben. Denn im Blut des
am Kreuz Hängenden wohnte "Sonnenkraft", die die Erdenaura verwandelte
und die Wiedervereinigung der getrennten Himmelskörper Sonne, Mond und
Erde in die Wege leitete. Christus, der "Sonnengeist", ist zum "Geist der
Erde" geworden (103,132).
Das Fließen des Blutes beim Kreuzestod Jesu wird somit als entscheidender
Impuls für das Weitergehen der Evolution betrachtet, als geradezu naturgesetzlicher
Prozeß. Wie hier bedient sich Steiner oft naturalistischer Begriffe
in seiner Auslegung geistlicher Tatsachen. Hier schwingen offensichtlich
alchemistische Vorstellungen der mittelalterlichen Esoterik und des
Rosenkreuzertums mit.35 Die Wirkung des Blutes wird mit einer chemischen
Reaktion gleichgesetzt, so wie wenn sich zwei Elemente (hier: Sonnen- und
Erdenkräfte) verbinden. Das soll auch erklären, warum im Blut noch die
Christuskraft wohnte, obwohl laut Steiner der Christus bei der Kreuzigung
gar nicht mehr im Jesusleib war: Die zeitweilige Verschmelzung des Christus
mit dem Jesus hatte das Blut umgewandelt. Bereits im Garten Gethsemane
hatte sich hingegen das Christus-Ich selber mehr und mehr aus dem Jesusleib
zurückgezogen, was nach Meinung Steiners z.B. durch das Blutschwitzen
Jesu, vollends aber durch den fliehenden nackten Jüngling (Mk 14,5 lf), der
dem Christus entspricht, angedeutet wird. Dieses Christusverständnis weist
deutliche Parallelen auf zum doketischen System des Gnostikers Kerinth,
eines Zeitgenossen Satornils und angeblichen Gegners des Evangelisten Johannes.
Gemäß Kerinth ist auf Jesus nach der Taufe "von der obersten Macht,
die über allem ist, Christus in der Gestalt einer Taube herabgestiegen, und
daraufhabe er den unbekannten Vater verkündigt und Machttaten vollbracht.
Am Ende aber habe sich Christus wieder von Jesus getrennt, Jesus sei gekreuzigt
worden und auferstanden, Christus aber sei leidensunfähig geblieben,
da er pneumatisch gewesen sei."36
Es wäre falsch, einfach zu sagen, daß Steiner die "Selbsterlösung" lehre,
daß bei ihm "alles nur aus eigener menschlicher Kraft" gehe, wie manche
Kritiker der Anthroposophie behaupten.37 "Der Christus" hat durchaus etwas
getan: Er hat die "Erbsünde" (für Steiner: den "Sündenfall", den er mit den
antiken Gnostikern im Anschluß an den Piatonismus als ein Gebundenwerden
des Geistigen durch die Materie verstand) überwunden und den Impuls zur
Wiedervergeistigung gegeben. Diese "Erlösung" macht die Selbsterlösung
(den karmischen Ausgleich der einzelnen Aktualsünden) möglich, indem der
Christus uns zeigt, wie die Kräfte zur Besiegung der Materie in uns selber (!)
gefunden werden. Freilich läuft diese Erlösungsvorstellung letztlich für den
einzelnen Menschen doch auf eine Selbsterlösung hinaus, aber sie ist komplizierter,
als gemeinhin angenommen wird.38
Die Auferstehung, d.h. die Rückkehr des Christusgeistes in den verdichteten
Ätherleib des Jesus, ist Bestätigung für die begonnene Wiedervergeistigung
der Erde. Und der Christus als der herabgestiegene "Sonnengeist", der zum
"Erdgeist" geworden ist, wird durch "Äthersehen ", eine besondere Art des
Hellsehens, erkannt. Deshalb sind nach dem Verständnis Steiners Himmelfahrt,
Pfingsten, das Damaskus-Erlebnis des Paulus und die Wiederkunft des
Christus weniger objektive Ereignisse außerhalb des Menschen als vielmehr
unterschiedliche Wahrnehmungsstufen im Menschen. Bei der Himmelfahrt geht die Gabe, den Christus hellseherisch wahrzunehmen, vorübergehend verloren.
An Pfingsten und vor Damaskus wird sie in einzelnen Jüngern wiedererweckt.
Und "Wiederkunft" bedeutet, daß nach dem Zuendegehen des "Finsteren
Zeitalters" ("Kali Yuga") im Jahre 1899 nach und nach immer mehr
Menschen den Christus und sein längst begonnenes Werk der Vergeistigung
der Erde hellseherisch wahrnehmen können, indem sie die Gabe des Äthersehens
erlangen. Auf diese Gabe, die im Laufe derevolutionären Entwicklung
zum Geistesmenschen jeder bekommen wird, kann man heute schon
durch anthroposophische Schulung gezielt hinarbeiten.