Lenin, einbalsamiert wie eine ägyptische Mumie.
Die okkulten Wurzeln des Sowjetkommunismus
Bernice Glatzer Rosenthal (Ed.): The Occult In Russian And Soviet Culture.
Ithaca, New York: Cornell University Press, 1997. ISBN 0-8014-8331-X
468 Seiten, Broschur
Okkultismus und Politik? Ja klar, das sind die Nazis und andere reaktionäre Strömungen, denen der Irrationalismus sozusagen wesensmäßig ist. Hat man sich gewöhnt von "brauner Magie" zu sprechen, den okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus nachzuspüren, ist es schon nicht mehr opportun darauf hinzuweisen, daß die liberale westliche Ordnung im wesentlichen den Prinzipien der Freimaurer (Toleranz, Menschenrechte, Weltbürgertum, Antiklerikalismus) entspricht, deren okkulte Wurzeln niemand ernsthaft bezweifeln wird. Selten hört man von den Verbindungen des Sozialismus zu okkulten Strömungen. Gilt der Sozialismus doch als atheistisch, aufgeklärt und transzendenzfeindlich. Für die Menschewiken (Sozialdemokraten) mag das auch weitgehend gelten. Vor allem in England ist allerdings auf das Wirken von Annie Besant hinzuweisen, die die Theosophie mit der sozialistischen Bewegung verknüpfte.
Daß bei den Bolschewiken durchaus manches im Dunkeln - Okkulten - liegt, beweisen die fachkundigen Beiträge eines Sammelbandes (Cornell University Press 1997), der aus einer Forschungskonferenz über "Das Okkulte und die moderne russische und sowjetische Kultur" an der amerikanischen Fordham Universität erwuchs. Unter der Herausgeberschaft von Bernice Glatzer Rosenthal beschäftigen sich Experten nicht nur mit okkultistischen Zirkeln am Rande der Gesellschaft, Schriftstellern, die dem Satanismus verfallen sind, und "orthodoxen Theologen", die eigentlich Kabbalisten sind. Diese Randerscheinungen würden eine Beschäftigung an diesem Ort nicht rechtfertigen, obwohl die zeitliche Aufeinanderfolge von erstmaliger Beeinflußung der russischen Kultur durch satanistische und kabbalistische Tendenzen am Ende des 19. Jahrhunderts und antirussischer Revolution, Zarenmord unter seltsamen Umständen, Verfolgung von Priestern und Gläubigen der orthodoxen Kirche, schon zu denken gibt. Noch bemerkenswerter ist die Verbindung von sowjetischer Staatsmacht und okkultistischen Strömungen, die dem Bild des zwangsläufig reaktionären und rechten Charakters des Okkultismus widerspricht, das allerdings vor allem von mit der Materie wenig vertrauten Antifaschisten gezeichnet wird.
Das Bindeglied zwischen den technokratischen Plänen der neuen Sowjetherren und den okkulten bodenständigen Strömungen Rußlands, also denjenigen die kaum eine Entsprechung im Westen haben, ist der "Kosmismus". Der Deutsche Michael Hagemeister, der bereits ein Buch über einen führenden Vertreter dieser Richtung, Nikolaj Fedorow, vorgelegt hat (München 1989), sieht den spezifisch russischen Gehalt dieser Bewegung, dem russischen Archetypus der "All-Einheit" entspringen. In Verbindung mit dem Glauben an den sowohl spirituellen als auch technischen Fortschritt ergibt sich bereits ein Naheverhältnis zu sozialrevolutionären und kommunistischen Bestrebungen. Neben der Beherrschung der meteorologischen, geologischen und allgemein "kosmischen" Prozesse - ein Unterfangen das magische Züge aufweist - ist es vor allem die Überwindung der Sterblichkeit, die angestrebt wurde als Teil der propagierten Selbsterlösung des Menschen. Berühmte Schriftsteller wie Gorkij waren davon überzeugt, daß es dem Sozialismus gelingen muß, die Unsterblichkeit des Menschen zu erreichen, ansonsten wäre das Paradies auf Erden nicht verwirklicht. Gedanken die auch einen Marcuse ("Frankfurter Schule") umtrieben.
Die Leugnung eines Lebens nach dem Tode, sei es in der Form der christlich orthodoxen Auferstehungslehre oder in den üblichen okkulten Varianten der Wiedergeburt, führte zur technischen Suche nach dem Lebenselixier, wie es eine platt materialistisch verstandene Alchemie tat. Konsequenterweise ließ der Sowjetstaat den pharaonischen Mumifizierungskult mit dem einbalsamierten und ausgestellten Lenin in einer Form aufleben, die sicher nicht als aufgeklärt und rational bezeichnet werden kann. Marco Dolcetta hat in Moskau den Wissenschafter besucht, der das entfernte Gehirn Lenins hütet und untersucht, und sich ausführlich mit diesem makabren Kult im Herzen Moskaus beschäftigt. Er nennt dies "die Implosion des Sakralen" (Politica Hermetica, 1995). Die Leugnung der Unsterblichkeit der Seele durch die Unsterblichkeit eines (toten!) Körpers. Ein wahrhaft satanischer Akt am Roten Platz, dem eigentlichen Zentrum des Sowjetimperiums und dessen was heute davon übrig geblieben ist. Angeordnet von Stalin.
Der Kosmismus hat nicht nur Schriftsteller begeistert und sein Einfluß ging über die sich ausdrücklich zum Kosmismus-Kommunismus bekennenden Ideologen wie Bogdanow, Platonow und Lunatscharski hinaus. Er prägte den bolschewistischen Messianismus, seine inhumane Eschatologie. Wer den Kommunismus auf das Christentum zurückführen möchte, sei es in apologetischer, sozusagen kirchentagsmäßiger, Absicht, oder in denunziatorischer, neuheidnischer Absicht, übersieht die zutiefst antichristliche Umkehrung, die hier am Werk ist: Die perfekte Gottesleugnung ist nicht die pessimistische Leugnung der Erlösung in der tragisch heroischen Haltung (die eher "der Rechten" angehört), sondern die Erlösung des Menschen durch den Menschen (wo sich "die Linke" mit Luzifer trifft).
Mit der Etablierung und Erstarrung des Sowjetimperiums wurden diese Wurzeln, wie auch andere ideologische Dogmen, in den Hintergrund gedrängt. Doch sie fanden beachtliche Nischen. Der Vater der russischen Raumfahrt Ziolkowski, ebenso wie der berühmte Evolutionsforscher Vernadski, fanden praktische Anwendungen der kosmischen Ideologie und übten beträchtlichen Einfluß auf die akademische Welt aus. Hier finden sich dann auch direktere Parallelen bei westlichen Intellektuellen. Die kosmischen, antichristlichen Phantasien eines Teilhard de Chardin, "katholischer" Theologe mit guten Beziehungen zum kommunistischen China, stehen zur katholischen Kirche wie die Kosmisten zur orthodoxen. Als New Age-Ideologie werden sie heute direkt von der UNO propagiert (siehe den detaillierten Nachweis in: Regina Hinrichs, Ihr werdet sein wie Gott, Siegburg o.J.).
Eine andere interessante Strömung sind die Futuristen, die von Irina Gutkin in einem Beitrag des genannten Sammelbandes dargestellt werden. Demnach führten die Futuristen (Krutschenijkh, Khlebnikow, Malewitsch) einen erbitterten Kampf gegen die Symbolisten, die ihre geistigen Quellen in mystischen Strömungen hatten. Die Mystik der Symbolisten hatte zwar oft häretischen Charakter hatten, blieb aber gerade noch im breiten Flußbett des russischen Christentums. Demgegenüber sahen sich die Futuristen in der Linie der nomadischen mongolischen Stämme, die die europäische Zivilisation hinwegspülen sollten. Sie sahen sich nicht als russische Mystiker sondern als Schamanen. Den Einfluß des Schamanismus mit seinem sibirischen Zentrum auf zahlreiche zerstörerische ("gegen-initiatorischen") revolutionäre esoterische Strömungen hat in Frankreich René Guénon hervorgehoben. Den Futuristen war vor allem an der Zerstörung der Sprache gelegen. Denn wie die Esoteriker aller Zeiten wußten und wie mit gehöriger Verspätung auch die Sprachwissenschafter erkannt haben, ist es die Weise des Sprechens welche die Weise der Welterkenntnis prägt. "Die Sprache spricht den Menschen, nicht umgekehrt", wie der bekannte französische Philosoph Michel Foucault es ausdrückte. Wer die bestehende Ordnung umstürzen will, muß also zuerst die Sprache umstürzen. Versuche, die von der Erfindung des Esperanto durch Ludwig Zamenhoff, bis zu den von den Medien aufgedrängten Sprachregelungen reichen. Die Futuristen gingen noch einen Schritt weiter, ihre transrationale Sprache soll keinen bestehenden Sinn mehr ausdrücken können. Wohl aber versuchen sie, einen futuristischen, die Zukunft sowohl vorhersagenden als auch herbeiführenden, Sinn in ihrer Sprache zu finden. Sie schrieben daher Bücher wie "Das mathematische Verständnis der Geschichte: Das Gamma der Futuristen", die deutlich den magischen Charakter ihres Tuns hervortreten ließen. Ein Unterfangen, das nach der Machtergreifung der bolschewistischen Clique, nicht mehr gebraucht wurde und sogar gefährlich werden konnte. Dennoch sieht die Autorin einen Zusammenhang mit der Degeneration der Sprache im Bolschewismus, die die Sprache zu bestimmten stereotypischen Redewendungen reduziert, absurde Bezeichnungen für Institutionen einführte, und einen Fetischismus für Statistiken und Zahlen entwickelte, die weit über die "normale" moderne zahlengläubige Pseudowissenschaftlichkeit hinausging.
Wie Materialismus in Okkultismus umschlägt, zeigt der Beitrag über "Gorkij und die Theorien der Gedankenübertragung" von Mikhail Agursky. Gorkij war beeinflußt von theosophischen Ideen über einen "Astralkörper" und den Ideen eines Naum Kotik, der meinte, daß "das Denken von der Ausstrahlung einer besonderen Form der Energie begleitet wird, die mentale und physische Aspekte hat". Die Idee eines "Astralkörpers", der physikalische Gegebenheiten auf den spirituellen Bereich überträgt, ist keineswegs Bestandteil der traditionellen esoterischen Lehre, sondern verdankt sich der Mischung aus esoterischen und modernen wissenschaftlichen Anschauungen in der Theosophie. Gorkij erträumte die Transformation aller Materie in diese seltsame halbpsychische Form nach dem Vorbild der Umwandlung von Materie in diesen Gedankenstoff. Auf diese Weise würde die Unsterblichkeit erreicht und die weltweite kommunistische Gesellschaft. Die Grundlage dafür soll die Auslöschung der gesamten materiellen Welt sein! Der zutiefst satanisch-nihilistische Grundzug der Sowjetideologie tritt wieder deutlich zu Tage. Gorkij war immerhin Cheftheoretiker des "sozialistischen Realismus". Mit seinem eigenen Realismus war es, wie man sieht, nicht sehr weit her.
Eine weiter Ikone der Sowjetkunst, der Filmemacher Sergeij Eisenstein, jüdischer Herkunft, aber zunächst streng christlich erzogen, hatte sich einem Rosenkreuzerorden angeschlossen. Seine esoterisch-alchemistisch, aber auch kabbalistisch beeinflußte Inszenierung von Wagners "Walküre", die seinerzeit durchfiel, aber heute viel beachtet wird, sollte den Molotow-Ribbentrop-Pakt feiern. Auf seinen "gnostischen Zirkel" sei hier nicht näher eingegangen, da er keine spezifisch bolschewistischen Elemente zu enthalten schien, sondern in Einklang mit allgemeinen weißmagisch-esoterischen Strömungen steht. Nach Auffassung von Hakan Lövgren, die den Beitrag über Eisensteins gnostischen Zirkel verfaßt hat, war Stalins Totalitarismus eine Ausprägung des auf die Spitze getriebenen okkulten Elitentums. Eine kleine Gruppe von Menschen kontrolliert und manipuliert weitreichende Zeichensysteme (den Film miteingeschlossen) im Namen einer höheren Wahrheit. Eisenstein hätte da nicht ganz hineingepaßt, weil er selbst durch sein Wissen alter esoterischer Systeme und seiner Hingabe an die Kunst sich nicht funktionalisieren lassen wollte und daher immer wieder in Schwierigkeiten mit dem "Großen Magier" Stalin kam. Vielleicht. Möglicherweise liegt aber die Differenz in der Orientierung der esoterischen Strömungen. Wo Eisenstein traditionelle Initiation und ordnungsbezogene Esoterik suchte, entfesselten die Bolschewiki eine beispielslose schwarzmagische (also nihilistische) Umkehrung der Weltordnung. Und schließlich hatte Stalin außer vulgärem Aberglauben und Furcht vor feindlichen Magiern keinerlei "höheres Wissen", seine Methode war der magisch-fetischisierte Gebrauch des Marxismus-Leninismus. Doch wo immer er feindliche Magie witterte, schlug er zu. General Tuchatschewskij soll wegen seiner Mitgliedschaft in der Brüderschaft der "Polaren", die sich dem geheimen asiatischen Weltzentrum Agartha verpflichtet fühlen, hingerichtet worden sein.
Eine Tatsache oder nur die Paranoia eines Herrschers wie dessen Kampagne gegen die "Verschwörung der jüdischen Ärzte"? Einen Monat nach Beginn dieser Kampagne starb Stalin am jüdischen Purimfest (so schreibt Louis Rapoport) an einem Schlaganfall. Stalins Tochter Swetlana Allilujewa berichtet, daß, als sie zum Krankenbett des großen Diktators gerufen wurde, ihr Bruder Wassili bereits da war und "stark betrunken über die Ärzte wütete, die seinen Vater umgebracht hätten." "Stalin lag auf der Couch und erstickte langsam, als die Blutung immer weitere Bereiche seines Gehirns erfaßte. Sein Gesicht wurde immer dunkler, seine Lippen schwarz. Plötzlich hob er zum Schrecken sämtlicher Anwesenden die linke Hand und zeigte auf alle, als ob er einen Fluch ausspräche. Sein Gesicht geriet zur Unkenntlichkeit, als er erstickte." Ein Ende das an dasjenige des ekstatischen Wundermönches Rasputin erinnerte, das zugleich das Ende der Zarenherrschaft angekündigt hatte. Doch Stalin blieb ein Unbegrabener wie Lenin, er wurde in dessen Mausoleum gelegt. Bis 1961 beim 22. Parteikongreß der KPdSU Frau Lazurnika (Parteimitglied seit 1902) ihren Traum erzählte. Lenin sei ihr im Traum erschienen und hätte erklärt, daß er nicht neben Stalin liegen möchte. Niemand kritisierte ihren Spiritismus, statt dessen wurde Stalin aus dem Mausoleum entfernt.
Weitere Literaturangaben:
Marco Dolcetta: Occultisme et communisme, autour de Lénine et de l´Institut du cerveau (in: Politica Hermetica, no.9, Paris 1995)
Alexandre Douguine: Le complot idéologique du cosmisme russe (in: Politica Hermetica, no.6, Paris 1992)
Louis Rapoport: Hammer, Sichel, Davidstern. Judenverfolgung in der Sowjetunion. Berlin: Ch. Links Verlag, 1992
http://www.geocities.com/kshatriya_/okkultismus.html