Gefährliche Altenpflege Wie Missstände vertuscht werden
Unsere nächste Geschichte macht wütend. Aus zwei Gründen: Zum einen berichtet
sie von menschenunwürdigen Zuständen in der Altenpflege, zum anderen wird von
einer Frau erzählt, die sich als Pflegerin genau dagegen gewehrt hat. Gegen skandalöse
Missstände bei der Betreuung alter Menschen. Wurde sie dafür belohnt?
Hat sie einen Preis für Zivilcourage erhalten? Nein, man hat sie gefeuert.
Gottlob Schober über eine Frau und ihren schweren Kampf gegen Skrupellosigkeit
und Ignoranz.
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Sie sprechen für rund 600 000 Menschen ohne Lobby für die in Pflegeheimen untergebrachten
Senioren, von denen nach Überzeugung der Buchautoren Claus Fussek (55) und Gottlob Schober (41)
Zigtausende täglich ihrer Menschenwürde beraubt werden.
Experte Fussek fasst es noch drastischer zusammen:Tausende werden so behandelt,
dass man nach Kriterien von Amnesty International von Folter sprechen muss.
Ihr Buch* über die Pflege-Mafia, das am Donnerstag erscheint, wird für Wirbel sorgen.
Es soll, so Fussek, „die milliardenschwere Branche spalten: in zuverlässige, transparente
Heime, die es selbstverständlich gibt. Und solche, für deren Schließung wir kämpfen werden.
Wichtigster Kronzeuge: der ehemalige Heimleiter Jürgen Schön (Name geändert), der den
Dienst bei seinem ehemaligen Arbeitgeber, einem großen deutschen Konzern, nach vier
Jahren quittiert hat.
Weil er das Erlebte nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Weil er nicht mehr
mit ansehen konnte, wie gehfähige Bewohner im Bett fixiert und dazu verdammt wurden, den
ganzen Tag an die Decke zu starren. Den Wahrheitsgehalt seiner Schock-Beichte
versicherte er an Eides statt.
Der Ex-Heimleiter über . . .
. . . Vermeidbare Todesfälle in seinem Heim:
Bei einer Bewohnerin musste alle paar Stunden der Schleim abgesaugt werden.
Aus Zeitmangel wurde das versäumt. Die Bewohnerin ist daran erstickt. Wir hatten einen
Krebspatienten. Morgens wurde er tot auf der Toilette sitzend gefunden. Er sah schlimm aus.
Die Leichenstarre war bereits eingetreten. Das Nachtteam hat kein einziges Mal nach ihm
geschaut. Da waren gerade mal drei bis vier Nachtschwestern in einem Haus mit sieben
Etagen. Anschließend wurde die Pflegedokumentation entsprechend bearbeitet. Dann hatte
ich einen jungen Wachkomapatienten. Der Mann war ständig total verschwitzt, weil er immer
wieder Krämpfe hatte. Das Pflegepersonal hatte dann im tiefsten Winter das Zimmer gelüftet
und für Durchzug gesorgt. Daraufhin hat er eine Lungenentzündung bekommen.
Daran ist er gestorben.
. . . Tricks zur Profit-Maximierung:
Die Geschäftsführung macht ständig Druck, dass die Pflegestufenstruktur nicht stimme,
also zu wenige Bewohner in Pflegestufe III seien. Die Dokumentationsbeauftragten sind
Spezialisten. Sie kennen die Tricks und Formulierungen, wie man die höchstmögliche
Pflegestufe erreichen kann und damit den Profit erhöht. Ich habe schnell erkannt, dass
das Ganze nur auf Abzocke angelegt ist. Bewohner werden eingeschüchtert. Ich habe das
selbst erlebt. Sie sollen sich bei Prüfungen des Medizinischen Dienstes bewusst kranker
darstellen, als sie eigentlich sind. Auch den Angehörigen wird gedroht. Als ich die
Geschäftsführung auf die Missstände in meinem Haus hingewiesen habe, wurde mir gesagt:
Sie arrangieren sich, oder Sie fliegen.‘
. . . Toiletten-Verbote aus Zeitdruck:
Es passiert häufig, dass pflegebedürftige Menschen nicht mehr auf die Toilette geführt
werden. So spart man Personal und Arbeit. Dass dabei die Menschenwürde auf der Strecke
bleibt, ist klar. Der Mensch kriegt zwei Windeln übereinander, dadurch kann er eine größere
Menge Urin oder Kot absondern, ohne dass das Bett so schnell beschmutzt wird. Und beim
Wechsel zieht man die unterste raus und hat noch eine Schicht. Man spart einfach Zeit.
. . . Mieses Essen für die Bewohner, Hummer für die Bosse:
An der Verpflegung wurde besonders gespart. Was da auf die Teller kam, schmeckte
grauenhaft. Im Gefängnis gäbe es da, glaube ich, einen Aufstand. Nur die alten Leute können
sich halt nicht wehren. Es waren so kleine Portionen, dass vielfach die Leute nicht satt
geworden sind. Und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein Pfleger einer älteren
Dame Essen angereicht hat. Er hat ihr zwei Löffel gereicht und ist dann aus dem Zimmer
wieder raus. Andererseits können Sie sich nicht vorstellen, was da für Partys gefeiert werden.
Ich erinnere mich noch gut an den fünfzigsten Geburtstag unseres Geschäftsführers.
Der soll weit über 100 000 Euro gekostet haben. Da wurden Berge von Hummer, Kaviar
und Austern aufgetischt – auf Kosten der Bewohner und des Personals.
. . . Sogenannte Kontrollen des Medizinischen Dienstes:
Seltsamerweise kam da immer eine Warnung vorher. Sie wussten also immer
Bescheid, wenn die kamen. Dann ist die Panik ausgebrochen. Man hat wie wild
das Haus gereinigt, man hat die Dokumentationen überarbeitet. Man hat die Missstände,
die offenbar den Pflegeführungskräften sehr wohl bekannt waren, reduziert. Man hat
versucht, für weitgehend ordentliche Zustände im Heim zu sorgen.
Pflege-Experte Fussek kann sich ausrechnen, wie die Branche auf sein Enthüllungsbuch
reagieren wird. Doch den Ärger nimmt er in Kauf, spricht bewusst von Mafia“
Wer wissentlich an schwersten Menschenrechtsverletzungen, Körperverletzung, Folter
und unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge mitverdient, ist für mich Teil eines
mafiaähnlichen Systems Dieser Teil der Branche lebe gut davon, dass sich nichts ändert:
Auch schlechte Pflege im Heim kostet bis zu 3500 Euro im Monat.
Co-Autor Schober
ie Missstände sind im Grundsatz allen bekannt.
Laut einer Studie
des Medizinischen Dienstes bekommt rund ein Drittel der Heimbewohner nicht einmal
genug zu essen und zu trinken.
Das muss man sich vorstellen: Wir lassen unsere Eltern und Großeltern am Ende ihres
Lebens hungern. Wir brauchen dringend eine Debatte über die Würde des zu Ende
gehenden Lebens.