EU-Referendum
Irlands Radikal-Katholiken hetzen gegen Lissabon-Vertrag
Von
Carsten Volkery
Sie warnen vor EU-Imperialismus und heidnischen Brüsseler Bürokraten. Zehn Tage vor dem Referendum zum Lissabon-Vertrag wettern radikale christliche Gruppen in Irland gegen das Reformwerk - während einzelne Bischöfe dafür werben. Auf der Insel tobt ein erbitterter Kampf um die Gläubigen.
London - Als der irische Labour-Abgeordnete Sean Sherlock neulich zum Sonntagsgottesdienst ging, machte er eine unerfreuliche Entdeckung. Auf den Kirchbänken lagen Flugblätter, in denen stand, dass der
Lissabon-Vertrag Irland zu einer Provinz in einem europäischen Bundesstaat mache und das Europäische Parlament in ein militärisches Hauptquartier verwandle. Sherlock beschwerte sich umgehend bei den Kirchenoberen: Er wolle nicht beim Gottesdienst von der Fatima-Rosenkranz-Gruppe mit politischen Botschaften bombardiert werden, sagte er der Lokalzeitung "The Corkman".
In zehn Tagen stimmen die Iren zum zweiten Mal über den Lissabon-Vertrag ab, der die
Europäische Union reformieren soll, und kurz vor der Entscheidung verschärft sich der Kampf um die Meinungsführerschaft. Das Ja-Lager hat in Umfragen bislang die Nase vorn, doch ein erneuter Stimmungsumschwung wird nicht ausgeschlossen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass zahlreiche katholische Gruppen und Pfarrer gegen das "gottlose" Paragrafenwerk aus Brüssel wettern. Ein Ja zu Lissabon würde dazu führen, dass Abtreibung und Euthanasie in Irland legal werden, behaupten sie unter anderem. "Sie schüren Ängste und verbreiten Lügen", klagt Jesuitenpater Edmond Grace aus Dublin. An missionarischem Eifer und Skrupellosigkeit stünden die radikalen
Katholiken der christlichen Rechten in den USA in nichts nach. Darum hat Grace am vergangenen Wochenende in seinem Jesuitenzentrum ein öffentliches Seminar abgehalten: "Christliche Werte und der Lissabon-Vertrag". Er wollte den Teilnehmern die "christliche Dimension" Europas nahebringen. 30 Leute sind gekommen, kein schlechter Start, findet Grace. Was ihm noch wichtiger war: Es gab Fotos, Berichte und Interviews in den Medien - und darauf kommt es in diesen letzten Tagen an.
Es ist ein erbitterter Kampf. Beide Lager haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, am 2. Oktober zu gewinnen. Ganz Europa blickt nach Dublin, denn das Votum der Iren wird entscheiden, ob das EU-Reformwerk Anfang 2010 in Kraft treten kann oder endgültig begraben werden muss. Im Unterschied zum ersten irischen Referendum scheinen die religiösen und moralischen Fragen diesmal keine große Rolle zu spielen. Aufgrund der Rezession stehen wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund. Auch hat der EU-Rat der irischen Regierung volle Unabhängigkeit in der Abtreibungsfrage zugesichert.
Doch warnt Grace davor, den Einfluss der fundamentalen Christen in dem katholischen Land zu unterschätzen. Beim ersten Mal habe die Angstmacherei der Abtreibungsgegner wesentlich zum Scheitern des Referendums beigetragen, sagt der Pater. Und obwohl dieses Mal die Abtreibung von den meisten Iren nicht als entscheidendes Thema gesehen werde, so entstehe doch eine allgemeine Anti-Stimmung: "Sie schüren ein Klima des Misstrauens gegen die EU."
Gruppen wie Coir und Youth Defence setzen erneut auf ihre bewährte Taktik. "Wir müssen den Kampf gegen einen Vertrag führen, der ein neues Imperium schaffen würde, in dem das ungeborene Kind keine Rechte hat und Gott selbst vergessen ist", schrieb Pater John Brady, geistlicher Beistand der Coir-Kampagne, Ende August in einem Spendenaufruf. Eine Million Flugblätter wollen die Aktivisten verteilen.
"Viele Iren halten die EU für antichristlich"
Unterstützung erhalten sie aus Großbritannien, von der anti-europäischen UK Independence Party (UKIP), die bereits große Erfolge bei Europawahlen erzielt hat und nun in Irland einen Stellvertreterkrieg führt. In einer zwölfseitigen Broschüre warnt die britische Partei wenig subtil vor "EUthanasie". Die irische Regierung regt sich über das Störfeuer aus dem Ausland mächtig auf. Die Broschüre sei "das niederträchtigste, betrügerischste Schriftstück, was je vor einem irischen Referendum verteilt wurde", schimpfte der irische Außenminister Micheal Martin.
Die Parolen fallen vielerorts auf fruchtbaren Boden, denn die Vorurteile sitzen tief. "Viele Iren halten die EU für antichristlich", sagt Grace. Besonders konservative, ältere Wähler bräuchten nicht lange davon überzeugt zu werden. Bereits im Juni hatte ein Pfarrer in der Grafschaft Donegal in einem Gemeindebrief geschrieben, dass Gott auf der Seite der Lissabon-Gegner sei. Die Regierung sei dabei, die Kontrolle über Irland den "heidnischen Bürokraten" in Brüssel zu überlassen, schrieb Pfarrer Des Sweeney laut "Irish Independent". In Anspielung auf die Ja-Kampagne, die vor allem mit den wirtschaftlichen Vorteilen der weiteren EU-Integration argumentiert, fragte Sweeney: "Ist es richtig, wie Judas unsere Seele für 30 Silberstücke zu verkaufen?"
Die Führung der Katholischen Kirche Irlands hatte zum Lissabon-Vertrag lange geschwiegen. Erst vergangene Woche wagte sich der jüngste der rund 30 irischen Bischöfe vor einem Parlamentsausschuss aus der Deckung. "Ein Katholik kann bedingungslos und guten Gewissens beim Referendum über den Lissabon-Vertrag mit Ja stimmen", sagte Noel Treanor, Bischof von Down and Connor. Damit keine Zweifel blieben, dass dies eine offizielle Meinung sei, fügte er hinzu, er spreche auch im Namen des Kardinals Sean Brady, des ranghöchsten irischen Katholiken.
Faltblätter aus der Kirche gestohlen
Bischof Treanor betonte, der Lissabon-Vertrag habe keine Folgen für das irische Abtreibungsrecht. Leider gebe es Gruppen, "die erneut versuchen, das anstehende Referendum zu beeinflussen, indem sie irreführende oder falsche Informationen verbreiten". Vertreter der Coir-Bewegung gaben sich unbeeindruckt: Man werde sehen, ob die Worte des Bischofs sich auf das Wählerverhalten auswirkten.
Einige Gläubige empfanden die Äußerungen des Bischofs offensichtlich als ketzerisch. Pfarrer Gabriel Kinahan von der Franziskaner-Kirche in Galway musste sich am Samstag nach der Abendmesse jedenfalls wütende Proteste anhören, weil er die Bischofsworte im Gemeindebrief abgedruckt hatte. Am Sonntagmorgen waren sämtliche Kopien des Gemeindebriefs aus der Kirche verschwunden. "Jemand hat alle Faltblätter hinten aus der Kirche gestohlen", sagte Kinahan der "Irish Times". Er will nun die Videobänder der Überwachungskameras auswerten, um den Dieb zu finden.
Den Jesuitenpater Grace in Dublin überraschen solche Anekdoten nicht. Seit 30 Jahren lasse man die militanten Katholiken ungestört schalten und walten, sagt er. Es werde Zeit, sie herauszufordern. Er will die nächsten Tage und Wochen damit verbringen, die Iren davon zu überzeugen, dass in Brüssel nicht der Große Satan sitzt.